Der wahre Feind: Kriminalroman (German Edition)
Er blickte sich um und sah eine Frau, die einen Säugling auf dem Arm hielt. Sie lächelte ihm kurz zu, ehe sie die Aufmerksamkeit wieder auf ihre Freundinnen richtete. Jonas leerte sein Glas und stellte es ab. Ließ seinen Blick erneut über den Platz schweifen. Jetzt, da es aufgehört hatte zu regnen, füllte er sich mit immer mehr Leuten. Er bemerkte einen dunkelblauen Lieferwagen, der mit dem Vorderrad auf dem Fahrradweg geparkt hatte. Eine der vorderen Türen war ein Stück weit geöffnet. Seine Alarmglocken schrillten, aber er versuchte ruhig zu bleiben. Dies war nicht Helmand. Er musste lernen, sich zu entspannen. Sich zu akklimatisieren. Dieses Wort hatte der Militärpsychologe benutzt. Seine Bedeutung hatte er nachschlagen müssen: sich anpassen, hatte im Wörterbuch gestanden. Er war jetzt in Dänemark und der Krieg in weiter Ferne. Trotz seines Anfalls konnte es immer noch ein schöner Tag werden. Er tippte die Nummer seiner Eltern und hoffte, dass Sofie abheben würde.
In diesem Moment flammte draußen ein grelles Licht auf. Mit infernalischem Brüllen wurde das Café von einer Druckwelle getroffen. Wie eine riesige Faust zerschmetterte sie alles, was sich ihr in den Weg stellte. Drückte die gesamte Fassade tief in das Gebäude hinein, das unter dem enormen Druck schwankte. Als die erste Etage einstürzte, wirbelten die Gesteinsbrocken eine riesige Staubwolke auf, die sich bis auf den Bürgersteig und die Fahrbahn erstreckte.
Auf dem Platz herrschte gelähmte Stille. Die ohrenbetäubende Explosion hatte alle paralysiert. Der Verkehr war zum Erliegen gekommen. Die Leute stiegen aus ihren Fahrzeugen und starrten auf den riesigen Krater am Straßenrand, aus dem immer noch die Staubwolke aufwaberte. Die obersten Stockwerke der angrenzenden Häuser standen in Flammen. Ebenso wie einige Autos, die quer über den Platz geschleudert worden waren und nun wie bizarre Eisenskulpturen aussahen. Passanten brachen in Tränen aus.
Durch die sich legende Staubwolke wurden die ersten Personen sichtbar. Ihre Gesichter waren blutrot und rußverschmiert, ihre Haare verbrannt, die Kleider hingen ihnen in langen Fetzen herunter. Alle hatten den gleichen versteinerten Gesichtsausdruck. Der Oberkellner wankte aus den Ruinen. Ihm fehlte der rechte Arm. Das Blut, das aus dem Stumpf quoll, zog eine rote Bahn. Er versuchte, sich auf den Beinen zu halten, während er zwischen den Cafégästen hindurchging, als wollte er ihre letzten Bestellungen aufnehmen. Dann stürzte er leblos auf die Fahrbahn.
In der Ferne hörte man die Sirenen der ersten Einsatzfahrzeuge.
4
Storm blickte zu Hassan hinüber, der auf einem der vier Betten saß, die den gesamten Platz des bescheidenen Kinderzimmers einnahmen. Hassan war gerade achtzehn geworden, ein schlaksiger Kerl mit Pickeln im Gesicht. Er trug einen grauen Qamis. Durch die geschlossene Tür hörten sie seinen Vater rufen. Storm hatte Henrik angewiesen, sich um die Familie zu kümmern. Henrik wog hundertfünfzig Kilo und hatte in seinen jungen Jahren Unterwasserrugby gespielt. Zwischendurch erklang Henriks erfahrene Stimme, die versuchte, den Vater zu beruhigen.
Storm nahm sich einen Klappstuhl, der neben einem der Betten stand, und setzte sich Hassan gegenüber. Sie waren von Hassans Mutter verständigt worden, die sich um ihren Sohn sorgte. Im letzten halben Jahr hatte er sich verändert. War von der Schule abgegangen und hatte dafür immer mehr Zeit in der Azra-Moschee verbracht. Die Moschee war ein bekannter Treffpunkt für Leute mit extremistischen Ansichten, die von Storms Antiterrorgruppe permanent überwacht wurde.
Erst kürzlich hatte Hassans Mutter sein Handy kontrolliert und mehrere SMS entdeckt, die an ein Mädchen in der Moschee gerichtet waren. Er schrieb, er sei bereit, in den Krieg zu ziehen, entweder in Afghanistan oder in Dänemark, um zum Märtyrer zu werden. Er hatte sie gefragt, ob sie ihn vorher heiraten wolle. Das Mädchen hatte nicht geantwortet. Daraufhin hatte Hassans Mutter die Polizei alarmiert, und schließlich war die Sache bei Storm und dem Geheimdienst gelandet. Sie hatten das Umfeld des Jungen erforscht und seinen Computer untersucht. Unter seinen Freunden hatten sich ein paar Islamisten befunden, die dem PET wohlbekannt waren. Auf seinem PC hatten sie mehrere Märtyrervideos und Links zu Dschihad-Seiten gefunden.
Jetzt saß Storm hier mit einem verstockten Teenager, der ihn seit einer halben Stunde geflissentlich ignorierte. Die schweren Strafen, die
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