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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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kurz befürchtete, machte sie einfach kehrt und zog weiter. Der Kinderwagen war leer. Vielleicht hatte sie seinen Akzent herausgehört. Als Untersuchungsrichterin in den dreißiger Jahren hätte sie ihn längst als feindlichen Agenten enttarnt und am nächsten Tag erschießen lassen. Als sie unter dem ersten Fenster des Gebäudes war, hob sie mit ihrem Lamento von neuem an, aus den oberen Stockwerken äffte eine Stimme sie nach. Es hallte wie aus einem Kachelbad oder einem leergeräumten Zimmer.
     
    Das schwarzhaarige, immer so ängstliche Mädchen war beim Friseur gewesen. Ihr Haar fiel nun luftig und aufgeföhnt, sie trug eine blass bordeauxfarbene Steppjacke aus glänzendem Kunststoff, die er zum ersten Mal an ihr sah. Über dem Kunstpelz am Kragen sah er ein paar schwarze Stoppeln des ausrasierten Nackens. Sie hatte sich schöngemacht. Auch sie hörte die Stimme von oben, und als sie sich ansahen, lächelte sie.
    Unglaublich, sie lächelte ihn an. Zum ersten Mal. Es machte ihn wahnsinnig glücklich.
    Er war glücklich darüber, dass er in Kürze sich und Arkadij befreien würde. Und ihr Lächeln war die Verheißung, dass es gelingen würde. Dass sie heimlich mit ihnen im Bunde war, dass alles einen Sinn hatte, dass sein Leben und ihr Leben sich ändern würden. Die strengen Zeichnungen mit all den Kreisen und Pfeilen würden sich aus ihrem zweidimensionalen Käfig erheben, würden hinauswachsen zu einem wilden, bunten Gemälde, mindestens in eine dritte Dimension, so wie es ihm bei seinem ersten Besuch erschienen war. Und alles würde gut werden. Schön werden.
    Aber Arkadij ließ sich nicht blicken.
    Konrad musste ein anderes Mal wiederkommen.
     
    Ein Auto brauchten sie trotzdem, leider. Arkadij hatte recht: Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln waren die Dörfer im Norden von Kiew nicht zu erreichen. Auch könnte Arkadij in den überfüllten Bussen nicht lange stehen, seine Schilderung der Fahrt mit den Kolchosefrauen hatte ihm das klargemacht. In Freiheit würde er sofort auffallen, abgemagert, mit diesem heißen, fiebrigen Glanz in den Augen, der sich an jedem, der nicht rechtzeitig wegsah, festsaugte. Es würde nicht lange dauern, und man riefe die Polizei, oder ein selbsternannter Ordnungshüter würde ihn aus dem Bus werfen. Vielleicht hatte er auch vor sieben Jahren schon diese unheimliche Aura verbreitet.
    Als Konrad in der Altstadt zurück war, sah er sich in den schmalen, ruhigeren Gassen, möglichst weit von Svetlanas Wohnung entfernt, nach einem geeigneten Auto um. Er brauchte ein Fahrzeug, das er kannte, am besten einen Lada. An dieser Marke hatte Jacek die unterschiedlichen Aufbruchmethoden mit ihm geübt. Konrad brauchte auch nicht lange zu suchen, bis er einen dunkelblauen WAS - 2013 fand, mindestens zehn, wahrscheinlich fünfzehn Jahre alt. Im Vorbeigehen prüfte Konrad die Tür, leider verschlossen. Er musste nun zurück zum Haus und den Draht vom Hof holen. Sobald es dunkler geworden war, kehrte er zu dem Lada zurück. Mit einem schmalen Holzkeil, den er gewohnheitsmäßig in der Jackentasche trug, fuhr er hinter die Gummidichtung und drückte die Tür einen Spalt weit ab, der Draht passte gerade mal so hinein. Mit dem gebogenen Ende zog er den Schließnippel hoch. Schon war das Fahrzeug geöffnet. Er hatte kein Werkzeug, um die Verkleidung des Zündschlosses zu knacken, die Verschalung mit den Händen herauszubrechen war zu schwierig. Also versuchte er es mit der Münze. Bei Jacek ließ sich der Lada mit einem polnischen Grosz starten, deshalb trug er immer einen Grosz in der Hosentasche, seit er sich auf dem Schoß seiner Lieblingskellnerin in Słubice ausgeheult hatte. Ihr Wechselgeld. Eine messinggelbe Münze im Gegenwert eines Pfennigs. Er ließ sich in die Sitzlehne sinken, sammelte sich und führte den Grosz in den Schlitz des Zündschlosses ein, drehte ihn nach rechts – und der Wagen sprang an.
    Er fuhr einmal ums Viertel und stellte den Lada dann wenige Hundert Meter von Svetlanas Haus in der Artjomstraße wieder ab. Zeit, sich in Ruhe im Auto umzusehen. Das Holzimitat des Armaturenbretts verlieh dem Innenraum eine gediegene Anmutung, es war ordentlich und gepflegt. Die Tankuhr zeigte drei Viertel. Das Lenkrad hatte einen geriffelten Kunstlederbezug, nur am Handschuhfach fehlte die Klappe. Er kramte darin, fand ein Feuerzeug, einen Kugelschreiber, ein paar Zettel und Einkaufsbons. Hinweise auf den Namen des Fahrzeughalters oder seinen Beruf konnte er nicht entdecken.
     
    Am

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