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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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aufging, und versteckte sich im Klo. Als eine Weile lang alles ruhig blieb, schlich er zurück, zog das Messer unter dem Teppich hervor und versteckte es in seinem Zimmer unter der Matratze.
    Er musste jetzt wirklich rasch weg hier, und je klarer ihm das wurde, desto mehr Angst bekam er. Wenn es so etwas wie dieses Messer hier noch gab, dann mochten noch ganz andere Dinge lebendig sein. Das konnte bedeuten, dass er jetzt derjenige war, dass er an der Reihe war … Wenn sie aus lauter Liebe schon so viel zerstört hatte in ihrem Leben, dann war er hier in einer viel größeren Gefahr als der von draußen drohenden, von diesem ominösen Holota oder den Kriminellen in den Spielhallen, den Zuhältern der Hotels.
    Mit diesen Dieben und kurzgeschorenen Bodyguards konnte er doch ganz gut. Das waren im Grunde Halbstarke mit überdimensionierten Bizeps und dem Gemüt von kleinen Jungs, so wie die dort am Dnjeprufer mit ihrer Ganovenehre. Sie hatten ihn laufenlassen. Oder die zwei vor der Tür des Nachtclubs. Und der Barmann. Sogar Wasyl Holota konnte nicht einfach nur der Sadist sein, als der Mazepa ihn geschildert hatte. Er stürmt in die Krebsstation, macht einen Riesenaufstand und wird plötzlich ganz kleinlaut, als er seinen sterbenden Vater findet. Dann sitzt er da am Krankenbett und löst sich regelrecht auf in Gefühlen. Vergessen die zwei Offiziere, die er versehentlich erschossen hat. Vergessen Ihor Hryciuk. Wenn du so einem nicht in die Quere kommst, bringt er dich auch nicht um. Höchstens aus Versehen, ohne böse Absicht.
    Svetlana war komplizierter. Sie hatte feinere und schwächere Waffen, doch sie suchte ihre Opfer viel gezielter aus. Wenn sie ihm den geringsten Zweifel anmerkte, nur eine Spur von Ablehnung, würde sie ihn … so wie ihren wahren Sohn.
    Er zog sich die Decke über den Kopf und zog die Knie an. Er fürchtete, er könnte in ihrer Konstellation den Platz einnehmen müssen, an dem erst der Ungeborene und danach Arkadij gewesen waren. Der eine umgebracht, der Zweite in die Klinik abgeschoben. Diese Stelle war jetzt wieder frei.
    Erst das ungeborene Kind.
    Dann der adoptierte Sohn.
    Jetzt er.
    Er musste so rasch wie möglich von hier verschwinden.
     
    Trotz dieser Überlegungen schlief er sehr tief. Am anderen Morgen war er ausgeruht und hatte ein Empfinden, als wäre er in lange nicht aufgesuchten Gegenden seiner selbst gewesen. Es fiel ihm leicht, beim Frühstück gute Laune zu zeigen und mit Svetlana zu scherzen wie in den Wochen zuvor. Im Bad steckte er eine Zange ein, die er in der Schublade des Spiegelschränkchens fand. Zurück in der Küche, entschuldigte er sich noch einmal für die Briefe und drückte seine Hoffnung aus, dass das gewachsene Vertrauen zwischen ihnen durch so einen Fauxpas nicht zerstört werden könne. Als er sich verabschiedete, ließ er sogar einige Sekunden die Hand auf ihrer Schulter ruhen. Anschließend ging er auf den Hof zu dem Blecheimer, den er dort ausgespäht hatte, und löste mit der Zange den kräftigen Draht, der als Henkel diente. Das war nicht einfach. Er bog den Draht gerade und legte ihn unter eine Blumenschale, die offenbar seit Ewigkeiten niemand angerührt hatte. Ein undefinierbares, gelbes Kraut war darin verwelkt.
     
    In die geschlossene Abteilung der Männerpsychiatrie hineinzukommen, versuchte er gar nicht erst. Er schlenderte auf dem Gelände herum und setzte sich mal hier, mal dort auf eine Bank, tat so, als würde er ausruhen oder lesen. Er wartete, bis Arkadij nach draußen käme. So konnte er auch gleich unauffällig die Abläufe beobachten, konnte sehen, wer hier zu welcher Tageszeit entlangkam. Er hielt sein Gesicht in die Sonne, schaute zu den Fenstern hoch. Prokoptschuk sollte ruhig mitkriegen, dass er noch hier war.
    Tatsächlich kam er auch irgendwann heraus und grüßte ihn im Vorbeigehen ohne große Herzlichkeit. Er schien sich nur zu wundern, dass er ihn hier noch sah.
    Von Flucht zu sprechen, wäre übertrieben gewesen. Das Klinikgelände stand nach allen Seiten offen. Das Problem lag darin, Arkadij zum richtigen Zeitpunkt aus der geschlossenen Abteilung herauszulotsen. Früher hätte Konrad ihn einfach zu einem Spaziergang mitnehmen können, jetzt kam er selbst nicht mehr hinein. Die Fenster im Erdgeschoss waren vergittert. Wenn Arkadij zum verabredeten Zeitpunkt nicht zufällig hinausgekommen war, zum Schachtisch unter der Linde, musste er den von ihm selbst vorgeschlagenen Weg über die Küche nehmen.
    Danach gab es mehrere

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