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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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nächsten Morgen in der Küche machte es ihm Mühe, sich nichts anmerken zu lassen und normal mit Svetlana umzugehen. Rasch verließ er das Haus, ging an dem parkenden Lada vorbei und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war, dann fuhr er in die Klinik.
    Arkadij stand unter der Linde.
    «Ich darf nicht mehr zu Ihnen», sagte Konrad. «Svetlana hat es verboten.»
    «Ich habe es Ihnen ja gesagt. Aber das kümmert Sie hoffentlich nicht. Solange Sie keine Angst haben, kann sie Ihnen auch nichts tun.»
    «Ich habe mir Ihren Vorschlag durch den Kopf gehen lassen.»
    «Schauen Sie, die Dame ist bedroht», flüsterte Arkadij hinter vorgehaltener Hand und zeigte auf das Schachbrett. Zwei Spieler saßen sich gegenüber, die eingezogenen Köpfe in die Hände gestützt. «Sie macht es nicht mehr lange.»
    Konrad blickte sich um, eine Frau im weißen Kittel stand ebenfalls am Tisch. Er nickte.
    Als die Ärztin ins Haus zurückgegangen war, sagte er zu Arkadij:
    «Morgen um fünfzehn Uhr unten an der Telihastraße, einverstanden? Sie gehen die lange Treppe hinab. Ich warte unten mit dem Auto.»
    Arkadij nickte.
    «Morgen heißt noch einmal schlafen», vergewisserte sich Konrad.
    Arkadij zeigte ihm einen Vogel.
    Konrad reichte ihm eine Plastiktüte mit einem alten Anzug, den er bei Svetlana im Kleiderschrank gefunden hatte.
    «Den ziehen Sie zur Flucht an, damit Sie nicht so auffallen.»
    «Der ist von meinem Vater», lachte Arkadij, als er einen Blick in die Tüte geworfen hatte. «Aber für unsere Reise geht er.»
     
    Konrad wollte nicht wortlos verschwinden. Es war eine intensive Zeit mit Svetlana gewesen, eine ganz eigene Erfahrung. Nicht länger als ein paar Wochen hatte es gedauert, aber es war so überraschend gekommen und hatte ihn doch sehr bewegt. Konrad machte sich Vorwürfe, zuweilen überkam ihn das Gefühl, er hätte sie nur benutzt, ihr Vertrauen missbraucht und würde sie jetzt wegwerfen. Dabei missbrauchte sie ihn doch mindestens ebenso sehr. Das Gefühl blieb, deshalb schrieb er ihr einen Brief, um sie zu besänftigen. Doch zeugt sein Schreiben auch davon, wie naiv und unverdorben Konrad im Grunde seiner Seele war.
    Liebe Svetlana,
    es ist so weit. Die Zeit ist gekommen. Ich muss gehen. Zurück nach Deutschland. Hier in Kiew kann ich nichts mehr ausrichten. Mir ist klargeworden, dass ich den Wagen nie finden werde.
    Es liegt nicht an Ihnen. Sie haben mir alles gesagt. Und was Sie verschwiegen haben, ist ohne Bedeutung. Ich danke Ihnen für Ihre Offenheit.
    Er schrieb die Anrede groß, wie er es als Kind gelernt hatte. Das Du in den Briefen an seine Mutter hatte er auch immer großgeschrieben.
    Mir ist, als hätte sich durch unsere Gespräche und durch Ihre Erzählungen eine ganze Welt für mich geöffnet. Nur, ich gehöre dort nicht hinein. Das ist mir klargeworden. Ich bin viel zu spät. Mir war, als dürfte ich nur von der Tür her einen Blick in eine weite, riesig weite Halle werfen, in diesen hellen, gleißenden Raum, der Ihr Leben ist. Nicht war, sondern ist, denn es vergeht ja nie etwas. Mich erfasst geradezu ein Glücksgefühl, dass Sie mir den Blick hinein gestattet haben, dann aber auch wieder eine tiefe Melancholie, dass ich nicht von Anfang an dabei sein konnte. Wir haben einander in der Zeit verfehlt. Ich weiß nicht, woher mein Gefühl kommt, dass ich schon früher einmal dort gewesen bin. Es kann ja nicht sein.
    Ich muss jetzt zurück in meine schale Gegenwart.
    Er setzte den Kugelschreiber ab und dachte diesem Wort nach. Sein Blick schweifte auf den Spielplatz. Der Sand war dunkel vom Regen, kein Kind spielte bei dem Wetter. Würde sein Leben wirklich schal sein, ohne sie?
    Abgestanden? Fade? Ohne Spritzigkeit?
    Ein feines Lächeln trat auf sein Gesicht.
    Das würde sich noch zeigen.
    Er würde es ihr zeigen. Ganz sicher.
    Er ließ das Wort stehen. Ein bisschen Mitleid mit ihm konnte ihr nicht schaden, es würde ihre Wut mildern.
    «Sie werden zurechtkommen», schrieb er weiter. «Sie werden überleben. Sie sind stark.»
    Und nachdem er seinen Blick erneut auf dem Spielplatz hatte ruhen lassen, fügte er ein PS hinzu:
    Das Auto, da hatten Sie recht, war nur eine schäbige Nebensache. Zum Lachen eigentlich. Zu Recht haben Sie mich einen Materialisten genannt. Ich war es, nicht Sie.

[zur Inhaltsübersicht]
    Vierzehn
    Am Tag der Flucht ging Konrad zum aufgebrochenen, nicht abschließbaren Auto und sah nach, ob es noch an Ort und Stelle stand. Als er zurückkam, war es ruhig in der Wohnung,

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