Der wahre Sohn
treten zu müssen. Als er in die Küche kam, warf sie ihm einen raschen Blick zu.
«Was haben Sie gesagt?»
«Ob Sie vorangekommen sind.»
Er brummelte Undeutliches. Als er sich gesetzt hatte, trat sie an ihn heran und legte eine Hand auf seine Schulter. Er zuckte zusammen. Sie merkte es und zog sich an ihr Spülbecken zurück, wusch schweigend ein paar Tassen.
«Hier bei mir sind Sie jedenfalls fündig geworden. Sie haben in meinen Sachen gewühlt», sagte sie.
«Was?»
«Ja. In meinen Briefen.»
«Nein, ich habe nach Hinweisen auf das Auto gesucht.»
«Das Band war ab, und sie lagen durcheinander. Sie haben die Briefe gelesen. Lügen Sie nicht. War es wenigstens interessant für Sie?»
«Nicht gelesen», widersprach er besten Gewissens.
«Was haben Sie dann gesucht? Ich sehe Ihnen doch an, dass Sie etwas gefunden haben.»
«Ich war einfach nur neugierig. Berufskrankheit. Ich weiß, das war nicht in Ordnung. Entschuldigen Sie.»
Konrad wurde rot.
Sie redeten nicht mehr lange, Svetlana ging früh schlafen.
Er lag auf dem Bett und hatte ein ganz schlechtes Gefühl. Sie war nicht zu Bett gegangen, weil sie müde war. Es hatte kein Fernsehen gegeben, keinen gemeinsamen Tee. Normalerweise wälzte sie sich hin und her, bevor sie einschlief. Diesmal knarrte keine Matratze. Er stellte sich vor, wie sie dalag und an die Decke starrte. Die Betrogene.
Sie war doch gerade im Begriff gewesen, ihn richtig liebzugewinnen. Sie vertraute ihm, hatte sich geöffnet. Sie hatte den Arm um ihn gelegt, hatte ihm das Geheimnis ihres Lebens gebeichtet. (Vorausgesetzt, dieses Ungeborene hatte es wirklich gegeben. Aber die Tränen sprachen dafür.) Und wie dankte er ihr diese Offenheit? Er schnüffelte in ihren Briefen. Redete mit einem Psychiater über sie. Schob ihren Arm weg.
Wie sie sich jetzt zurückgezogen hatte, das war ja erst der Anfang. Es lief ihm kalt den Rücken herunter bei dem Gedanken, was das bedeuten konnte. Was diese Mutter noch alles anzurichten vermochte. Wozu erzählte sie ihm gerade jetzt, dass sie ihr eigenes Kind getötet hatte?
Wenn sie ihn so liebgewann wie ihren Ungeborenen, weich und weiß, mit strahlenden Augen. Wenn sie ihn aufessen wollte. Aufessen. Er hielt seinen Handrücken unter die Nase und schnupperte. Roch er vielleicht schon so unwiderstehlich wie ein Säugling? Er nahm den Taschenspiegel aus der Schublade, der seit Arkadijs Zeiten darin lag. Seine rechte Schläfe war merkwürdig geschwollen, vor ein paar Tagen war dort ein kleiner roter Pickel aufgesprungen, der nicht verschwinden wollte, im Gegenteil, er schien sich von Tag zu Tag auszuweiten. Die Haut im Zentrum war tiefrot angelaufen, mit einem Stich ins Violette. Es tat weh, wenn er mit dem Finger drankam. Konrad hatte sogar Pflaster gekauft, um ihn zu verstecken.
Mitleid konnte man schon mit ihr haben, das war nach dieser Beichte klar. Aber sie verlangte mehr. Wenn ihr nun endlich klarwurde, dass er ihre Liebe nicht erwidern wollte und konnte? Schlagen würde sie ihn nicht. Frauen gehen anders vor. Marlene hatte ihm auch nie weh getan, doch, einmal hatte sie eine Gabel nach ihm geworfen. Auch alte Frauen vermögen noch eine unheimliche Wut zu entwickeln. In Berlin hatte er einmal eine Rentnerin mit dem Stock auf eine junge Taschendiebin einschlagen sehen. Sie hielt die Romni mit der einen Hand fest und drosch mit der freien auf sie ein, sie wollte gar nicht mehr aufhören.
Ihm fiel das Messer ein, mit dem Olha den Zander aufgeschlitzt hatte. Ob dieses Messer noch irgendwo hier in der Wohnung war? Vielleicht war es längst kaputt, vielleicht hatte Svetlana es weggeworfen, gerade weil es sie an die Fische erinnerte, womöglich sogar danach roch. Er ging in die Küche, drehte das Wasser auf und suchte in den Schränken. In der untersten Schublade lag ein Messer mit Holzgriff und langer, schmaler Klinge. Das konnte es sein, alt genug war es. Er roch an der Klinge. Keine Spur mehr von Fisch. Trotzdem. Er nahm das Messer und versteckte es im Wohnzimmer unter dem Teppich, weit unter dem Schrank, damit die Wölbung nicht auffiel.
Irgendwann in der Nacht wachte er auf und war von der Tatsache, dass er ein langes Küchenmesser unter Svetlanas Wohnzimmerteppich geschoben hatte, viel stärker beunruhigt, als wenn er dieses Messer nie gefunden oder einfach in der Schublade gelassen hätte. Er lauschte, ob bei ihr alles still war, dann schlich er ins Wohnzimmer. Die Dielen knarrten, er glaubte zu hören, dass die Schlafzimmertür
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