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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Wagen verladen und weggebracht werden.
    Erst am frühen Morgen kam sie nach Hause, die Wohnungstür ließ sie zuknallen. Er hörte, wie sie den Schlüssel auf das Garderobenbrett schmiss, und wartete darauf, dass sie endlich Mantel und Stiefel abgestreift hätte und zu ihm ins Bett kommen würde. Sie kam auch, laut redend, als wäre helllichter Tag, erzählte, wie es in Charlottenburg weitergegangen war, sie roch nach Bier und stupste ihre Hüften eindeutig rhythmisch gegen seinen Rücken, sie hatte ihre Jeans ausgezogen, griff mit einer Hand vor seinen Bauch, steckte ihm die Zunge ins Ohr. Als sie sich über seinen Hals beugte und nach seinem Mund suchte, roch er die Mischung aus Hefe, Alkohol und säuerlichen Selbstgedrehten, er war aus irgendeinem tiefen Traum heraufgezogen worden und lag nun plötzlich mit diesem zügellosen Körper zusammen und fand sie überhaupt nicht aufregend und konnte nicht. Und obwohl sie es später noch viele Male getan hatten, musste er doch immer, wenn ihm Zweifel an Marlene kamen, an diesen einen Augenblick am frühen Morgen denken.
    Enttäuschungen hatte es genug gegeben in seinem Leben. Das Neue war, dass da jetzt keine Hoffnung übrig war. Niemand mehr da. Nur noch er selbst.
    Und vor sich war er bisher immer weggerannt. Deshalb fuhr er jetzt auch so schnell.
    Arkadijs tolle Verrücktheit war nur die Ausgeburt, die Nachgeburt seiner kleinen, unansehnlichen Abhängigkeit von einem konkreten Menschen, einer Frau. Die überhitzte Phantasie eines Manisch-Depressiven. Leeres Pathos! Seine ganze Welt war abgeschlafft, zusammengefallen, nur weil er sie gefunden zu haben glaubte. Dass diese Olha etwas so Simples für ihn gewesen war. Konrad konnte es nicht glauben. So eindimensional! So körperlich, dass es ihm genügte, ihr Grab gefunden zu haben, einen Namenszug auf Stein. Er wollte noch nicht mal wissen, ob sie wirklich dort lag, ob überhaupt jemand in dem Grab war. Auf einen Schlüsselbeinknochen mehr oder weniger kam es jetzt auch nicht mehr an. Seine Befriedigung vollzog sich im Kopf, und dafür verzichtete er auf alles andere. Auch auf Konrad. Arkadij ließ sich von diesem Loch einsaugen, von diesem Grab.
    Wie sehr eine Frau den Geist beflügelt, wenn man sich nach ihr sehnt. Aber wie eng die Welt werden kann, wenn sie da ist!
    So eine Fixierung verengt die Sicht auf das Leben. Man bekommt einen Tunnelblick, kann die Libido nicht vom Objekt abziehen und geht lieber mit ihm zusammen unter. So hatte Guzman das formuliert. Weil man die eine, kleine Wahrheit nicht an sich heranlassen will, gerät das gesamte Bild der Wirklichkeit aus den Fugen, durch diese einzige Unstimmigkeit. Man fängt an, die Dinge falsch zu sehen, und glaubt, etwas zu erkennen, das nicht vorhanden ist. Eine Kettenreaktion. Der Blick bekommt einen Krampf, er schafft es nicht über die Lücke auf dem Papier, kaum breiter als das Weiße im Fingernagel, über den Leerraum zwischen einem Wort und dem nächsten, er kriegt keinen Satz mehr zu Ende – und wähnt in dieser Erstarrung schon die Unendlichkeit.
    Arkadij war ein herber Verlust, und Konrad umkreiste ihn mit seinen Gedanken, versuchte, ihn zu fassen, ihn zu erklären. Versuchte, das Verlorene beschreibbar und kleiner zu machen. Es gelang ihm nicht. Am Ende jeder Gedankenkette stand nur immer neu der Schreck, dass alles verloren war.
    Wenn es keinen Gott gibt, muss da wenigstens ein anderer Mensch sein, ohne einen solchen kann keine Schönheit entstehen. Arkadijs beinahe hysterisches Zucken und Schluchzen und Stottern am Grab waren nicht schön gewesen. Dafür hatte er ihn nicht befreit. Statt einer großen, bunten Zeichnung sah er nur wieder Bleistiftstriche und Kreise. Grau auf Weiß, streng und eindeutig.
    Arkadij war frei. Zum Tode. Und Konrad hatte doch gehofft, mit ihm zusammen die wahre Befreiung zu erleben. Sich nie wieder zwischen zwei Dingen entscheiden zu müssen, Familie oder Auto, Liebe oder Freiheit, sondern etwas Drittes zu finden. Die Klaviertaste, die weder schwarz noch weiß ist. Das wäre ein wirklicher Spaß. Bunte Reptilien, die im jahrelang ausgetrockneten Lehmbett des Flusses ihre Köpfe heben und glänzende Schuppen rascheln lassen. Etwas wirklich Neues. Die Dame für den König opfern. Liebe machen mit der Wirklichkeit. Aber Arkadij war, wie sich jetzt zeigte, auch nur ein Bauer.
    Konrad spürte die Leere, sie kribbelte ihm im Nacken. Aber solange er fuhr, bekam sie ihn nicht zu fassen. Wenigstens der Asphalt gab noch eine Richtung

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