Der wahre Sohn
Vater war.
Und, hat sie es ihm gesagt?
Nein, sie wollte nicht. Sie muss diesen Mann gehasst haben. Das hat man daran gemerkt, wie Wasyl von ihm geredet hat. Er war fest entschlossen, seinen Vater irgendwann umzubringen. Aber sie verriet den Namen nicht, nicht mal, als er sie schlug. Es muss irgend so ein Bonze in Kiew gewesen sein. Kein General, aber ein Oberst oder so.
Hat sie ihn denn noch gelegentlich gesehen?
Den Offizier? Wissen wir nicht.
Und er, hat er sie kein einziges Mal besucht?
Wir haben nie jemanden gesehen. Das hätte er auch nicht überlebt, Wasyl hätte …
«Und wer sind Sie?», fragte eine der Frauen.
«Ein Freund von Arkadij», antwortete Konrad. «Können Sie sich um ihn kümmern? Ich selbst muss weiter. Er hat niemanden mehr, kein Zuhause und keinen Platz. Er darf auf keinen Fall zurück in die Klinik.»
«Klinik?», fragte eine andere.
«Er war sehr lange krank. Jetzt geht es ihm besser. Vielleicht kann er hier bei Ihnen bleiben.»
Dann ging er zu dem Auto und öffnete die Tür des Lada. Sank in die Kuhle des durchgesessenen Sitzes.
«Wie erkenne ich diesen Wasyl denn?», fragte er aus dem Fenster.
«Das ist ganz einfach», sagte eine. «Der fährt seit neuestem einen schwarzen Mercedes. So einen haben Sie noch nie gesehen, so groß, da passt unser halbes Dorf rein.»
Er steckte den Grosz in den Zündschlitz und drehte ihn nach rechts.
Der Anlasserritzel peitschte das ausgekühlte Metall.
Einmal.
Noch einmal.
Und noch einmal.
Bis der Motor aufheulte vor Schmerz.
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Fünfzehn
Also.
So war das.
Er dachte den Satz so, zerteilt von einem Schlucken.
Ein schönes Ende, sehr bewegend.
Gut, dass er einfach fahren konnte. Er trat das Gaspedal durch und brauste los. In der Nacht ohne Benzin liegenbleiben, ausrutschen und an einen Baum krachen, das alles hätte passieren können, das alles war ihm egal. Die schmale Landstraße blieb leer, langweilige Kolchossiedlungen zogen vorbei, gestreckte weiße Lagerhallen, Ställe aus Wellblech, dann dichte Wälder, in denen es noch dunkler schien, als es um diese Tageszeit ohnehin schon war. Die Geschwindigkeit gaukelte ihm vor, er hätte es eilig und wüsste, wohin.
«Irgendwo dort, wo das Auge nicht mehr hinreichte, wo am Horizont nur Schnee und Sonnenglast war, dort lag ein Ziel.»
Onkel Wolfgangs Stimme überschlug sich hysterisch. Konrad fragte sich, ob er tot war oder ob er, der Überlebenskünstler, jetzt mit einem dicken Halsverband auf der Veranda saß und sich von seinem Mädchen den Tee servieren ließ. Er packte das Lenkrad fest mit beiden Händen und sang laut die zwei Worte, die Hitler ausgestoßen hatte, mit immer genüsslicherer und härter rollender Akzentuierung des «r».
Noch war die Enttäuschung, dass er jetzt einfach Luft geworden war für Arkadij, nicht ganz in Konrads Bewusstsein gedrungen. Das alles war noch zu frisch, zu schnell gegangen, wie ein gerade passierter Unfall. Sie hatten sich ja eben erst getrennt. Und die Geschichte war überhaupt noch nicht zu Ende, ein Mann namens Wasyl konnte, wie jeden Tag um diese Zeit, nach Suschtschani kommen. Er würde von ihm hören, würde sich den Lada beschreiben lassen und ihm sofort hinterherfahren.
Was war er aber auch naiv! Was sollte Arkadijs pathetisches Gerede von einem Ziel, von einer Richtung? Osmose? Lauter Wahnideen. Dass er mit seinen achtunddreißig Jahren immer noch auf so etwas hereinfiel!
Er hätte wissen müssen, wie das endet. Damals war einmal eines der großen, schweren Polizeipferde, die schweißnass am Straßenrand standen, von einem Pflasterstein getroffen worden, aber es brach nicht zusammen. Nur seine Haut zitterte ein wenig, wie eine vom Kieselstein getroffene Wasserfläche. An diesem Tag waren ihm zum ersten Mal Zweifel gekommen. Ganz plötzlich verschwand die Sonne hinter den Wolken, und das eben noch glänzende, nasse Fell des Tieres wurde stumpf und dunkel. Mit einem Mal war ihm die ganze Sache verdorben. Marlene grölte heiser und hysterisch. Was waren ihre Ziele, was sollten die großen politischen Losungen, wenn alles so grau endete … Er zupfte sie am Ärmel, weil er gehen wollte, sie drehte sich lachend zu ihm um, schien ihn gar nicht richtig zu erkennen, wandte sich gleich wieder nach vorn, so aufgeregt war sie, sie brüllte weiter und brüllte. Die Menschenmassen und die Ho-Chi-Minh-Rufe verstärkten den Schock der unförmigen Tiere. Manche konnten sich nicht beruhigen, dann mussten sie in die hohen, grünen
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