Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
Vom Netzwerk:
Sich in Spielhallen vergnügen? Über Friedhöfe schlendern? Die Nächte mit der Jurastudentin verbringen und danach ausschlafen?
    Er setzte sich auf eine Bank in der von weißem Baustaub bepuderten Grünanlage gegenüber dem Haus am Lemberger Platz. Nebenan wuchs ein Rohbau in die Höhe. Er blieb gern irgendwo an einer Stelle und beobachtete, stundenlang konnte er zum Beispiel auf Bahnhöfen warten. Wenn der Fahrzeughalter in diesem Haus gewohnt hatte, war es nicht unwahrscheinlich, dass sich das Auto noch irgendwo in der Nähe befand. Vielleicht konnte Solowjows Frau ihn von dort oben sogar sehen.
    Nach zwei Stunden kam sie aus dem Haus. Er stand auf und folgte ihr. Er wollte wissen, wohin sie ging, mit wem sie Kontakt pflegte. Wen sie jetzt vielleicht warnte. Ein paar Seitenstraßen weiter verschwand sie in einem Hauseingang. Er war nicht schnell genug, um durch die zufallende Tür zu schlüpfen. Er notierte alle Namen von den Türschildern, unter anderem den einer Arztpraxis.
    Eine Dreiviertelstunde später erschien sie wieder auf der Straße. Konrad folgte ihr auf einen Wochenmarkt. Er achtete darauf, was sie kaufte, Tomaten, Kartoffeln und frischen Quark. Brauchte sie jetzt eine besonders kräftigende Nahrung? Weil er bei ihr gewesen war? Davon war er überzeugt. Er konnte sich nicht vorstellen, dass er nachts um zehn eine völlig fremde Frau besucht hatte und das keinen Einfluss auf sie gehabt haben sollte.
    Die Begegnung mit ihm musste Solowjows Frau doch auf irgendeine Weise, gewissermaßen auf einer Mikroebene, angerührt haben, so wie Krebs mit molekularen Veränderungen beginnt, lange bevor er spürbar oder sichtbar wird. Es schien ihm undenkbar – und dieser Gedanke hätte Konrad stutzig machen müssen, vielleicht hätte er an diesem Punkt noch innehalten und alles verhindern können –, dass sie einfach so weiter vor sich hin leben sollte, das eintönige, trostlose Leben einer Witwe, die weiter ihren täglichen Verrichtungen nachgeht wie bisher. Nein. Auch ein kleines Steinchen macht Ringe in einem stillen See.
    Sie musste doch einmal nach unten auf den Platz gegangen sein, um sich zu vergewissern, dass dort kein Mercedes stand, der ihrem Mann gehört haben könnte. Auch wenn sie vom Gegenteil überzeugt war. Denn keine Frau weiß alles über den Mann, neben dem sie herlebt. Onkel Wolfgang versteckte sein Tagebuch vor der eigenen Haushälterin. Svetlana musste an ihn denken, diesen merkwürdigen jungen Mann, der sie letzten Abend unangemeldet aufgesucht hatte. Konnte sie ihn einfach vergessen wie den Gasinstallateur? Eine Absence, wenn sie an ihn dachte, oder im Gegenteil, ein Fünkchen Ungeduld, wenn es auf dem Markt zu lange dauerte oder sich jemand vordrängelte. Und wirklich geriet sie bald mit einer Verkäuferin aneinander.
    Übrigens war sie recht flott für ihr Alter. Konrad musste aufpassen, sie nicht zu verlieren. Nach dem Arztbesuch und dem Einkauf ging sie heim, im Grunde war sie es, die ihn durch die Gegend gehetzt hatte. Er glaubte sie am Zipfel zu haben, dabei zog sie ihn hinter sich her.
    Nach dieser ersten Observation ließ er, auch körperlich erschöpft, zufrieden von ihr ab und trieb durch die Stadt. Der Mercedes war in seinem Kopf wie ein eingepflanzter Mikrochip. Alles, was groß war und schwarz und sich bewegte, alarmierte ihn. Meistens waren es Geländewagen mit getönten Scheiben, die wie aus dem Nichts auftauchten. Einmal ein Leichenwagen.
     
    Auch am nächsten Tag war es viel zu warm für den Mai. Solowjows Frau stieg die Stufen der Metro Schuljawska hoch. Er hatte seine Erfahrungen mit diesen Treppen gemacht und wusste, dass man dort auf der Hut sein musste. Viele der schweren Steinplatten hatten sich in ihrem Zementbett gelockert oder waren schon herausgerutscht. Heute machte Svetlana einen erschöpften Eindruck. Dennoch bewunderte er ihre Zähigkeit und versuchte, sich vorzustellen, wie sie als jüngere Frau gewesen war.
    Er stand am Kiosk neben der Trolleybushaltestelle und schielte ab und zu zu ihr hinüber. Wenn sie hersah, guckte er rasch weg und versteckte sich hinter anderen. Alle dachten, er warte in der Kioskschlange, ständig fragte ihn jemand und drängte dann vorbei an das dunkle Fensterchen. Es war nicht einfach, sie in diesem Gewühl im Auge zu behalten. Ihr zurückgebundenes schwarzes Haar erleichterte das; sie trug kein Kopftuch, offenbar war sie stolz auf dieses Haar.
    Als die Türen aufknallten, war der alte Bus schon voll. Die Menschen schoben sich

Weitere Kostenlose Bücher