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Der wahre Sohn

Der wahre Sohn

Titel: Der wahre Sohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olaf Kühl
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Mann hier in dieser Anstalt. Sie hatte gelogen.
    Diese Erkenntnis entlockte ihm ein Lächeln.
     
    Er lächelte sogar am Abend noch, als er den Fernseher einschaltete. Sie hatte es für nötig gehalten, ihn anzulügen. Das machte sie menschlich. Und es weckte seinen Jagdinstinkt.
    Er setzte sich an den schmalen Hoteltisch und zeichnete seine erste Konstellation, wie er dieses ebenso simple wie wirkungsvolle Verfahren nannte. Jede Person aus dem Umfeld der Tat wird, sobald sie bekannt ist, als kleiner Kreis auf dem Blatt eingetragen. Die Entscheidung über die räumliche Platzierung fällt intuitiv. Je weiter die Ermittlungen voranschreiten und je mehr Personen sich auf dem Feld tummeln, desto intensiver wird ihr Eigenleben. Diese Dynamik führt dazu, dass sich Personen verschieben, Bezüge sich zurechtrücken. Natürlich nicht von allein, die Sache hatte nichts Esoterisches; er fertigte jeweils eine neue Zeichnung an. Wie bei einem Mobile hingen dann unterschiedliche Gewichte im Raum und hielten sich im Idealfall die Waage. Wenn man es richtig anfing, konnte man in so einer Konstellation leere Stellen erkennen – Personen, von denen man noch gar nichts wusste, die es aber als Verbindungen geben musste. Konrad hatte schon in mehreren Fällen beobachtet, dass eine fehlende Person eine Art Sog entwickelte, dass man spürte, wo etwas oder jemand fehlt. Oft war dieser fehlende Kreis dann der Täter gewesen oder hatte auf seine Spur geführt.
    In diesem Stadium war noch nicht viel zu zeichnen: Da war Jurij Solowjow, angeblich verstorben, in Wirklichkeit vermutlich in eine psychiatrische Anstalt abgeschoben, wo er dem wahren Nutznießer des gestohlenen Fahrzeugs nicht mehr in die Quere kam. Die Verbindung zwischen ihm und dem Auto war als hauchdünne, gestrichelte Linie markiert. Solowjow war missbraucht worden. Selbst wenn er noch lebte, Auto fuhr er bestimmt nicht mehr. Links daneben die Ehefrau. Auch Jurko Mazepa trug er ein, selbst bei einem Anwalt konnte man nicht sicher sein, dass er nichts mit dem Diebstahl zu tun hatte.
    Erst bei komplizierten Konstellationen spielt die räumliche Anordnung der Figuren eine Rolle. Je nachdem, ob eine Ehefrau links oder rechts vom Mann eingetragen wird, gelangt man zu unterschiedlichen Lösungen. Links und rechts, oben und unten, Nord und Süd, das wurde dann wichtig. Bei einer Kleinfamilie wie den Solowjows war das noch nicht entscheidend.
     
    Eine Nacht gab er Svetlana Zeit. Schon am Vormittag des nächsten Tages arrangierte er eine Begegnung in der Chmelnickijstraße. Als sie das Haus verließ, musste er sich beeilen, so energisch bewegte sie sich voran. Sobald er sich ihres Weges einigermaßen sicher war, ging er in eine Seitengasse, rannte die Parallelstraße hinab, bog zurück und lauerte ihr an der Ecke auf. Dort stolperte er ihr wie zufällig über den Weg.
    «Ach, Frau Solowjowa, gut, dass ich Sie treffe.»
    Sie wollte tatsächlich einfach so an ihm vorbeigehen.
    «Ich habe Sie gestern dort oben in dieser psychiatrischen Klinik gesehen. Darf ich fragen, wen Sie dort besucht haben?»
    «Sie sind wohl verrückt?», rief sie ganz außer Atem.
    «Nein, ich noch nicht.»
    «Was spionieren Sie mir nach!»
    «Liegt Ihr Mann in der Klinik?», rief er ihr hinterher. Er traute sich nicht, sie einfach am Ärmel zu fassen. «Wen haben Sie dort besucht?»
    «Ich rufe gleich um Hilfe, wenn Sie mich nicht in Ruhe lassen.»
    Auf der anderen Straßenseite blieb jemand stehen und sah herüber.
    «Sie können sicher sein, dass ich nicht aufgebe, bis ich das Auto gefunden habe.»
    «Denken Sie, ich würde mit dem Bus fahren, wenn ich ein Auto hätte? Alles andere geht Sie gar nichts an.»
    «Ich glaube doch. Wenn Sie Ihren Mann dort in der Anstalt verstecken, geht es mich sehr viel an!»
    «Sie sind ja wahnsinnig.»
    Sie eilte weiter und knickte auf einer Gehsteigplatte um.
    Konrad griff ihr unter den Arm, stützte sie. Jetzt sah er, dass sie doch außer Atem war, vom Weglaufen und von der Aufregung.
    «Entschuldigen Sie», sagte Konrad. «Warten Sie einen Augenblick, ich bringe Ihnen einen Saft.»
    Er lief zum nächsten Kiosk und kaufte eine Orangeade.
    «Hier haben Sie einen Saft, Frau …»
    «Svetlana Wiktorowna. Danke.»
    Sie sah ihn aufmerksam an. «Woher kommen Sie?»
    Здесь Вы имеете сок . Ein simpler Fehler in der russischen Satzstellung hatte ihn verraten.
    «Aus Deutschland.»
    Ihr Blick wurde milder.
    «Aus Deutschland? Und was machen Sie hier in Kiew?»
    «Ich

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