Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
findet in der Aula des Hauptgebäudes statt. Dort können Sie sich auch mit dem Kulturprogramm für Ihren Aufenthalt vertraut machen!“
Mit der Eile eines Zuspätkommenden sah Mark hastig seine eben erst aufgehängten Hemden durch und entschied sich selbstverständlich für ein weißes. Hierauf wählte er eine Krawatte aus und nahm einen hellbeigen Sommeranzug vom Kleiderbügel, den er sich einen Tag vor der Abreise gekauft hatte. Er kleidete sich an und kämmte sich das Haar. Ihm entging nicht, dass die braunen Sandalen nicht besonders gut zum Anzug passten, aber er hatte keine anderen.
„Also, Kusma, erhol dich gut! Ich komme bald zurück!“
Die Tür schnappte ins Schloss und der Papagei blieb allein zurück.
Die Aula war ziemlich groß, aber zu Marks Verwunderung bereits randvoll mit Feriengästen. Der Künstler entdeckte noch einen freien Platz in der vierten Reihe und stürzte auf diesen zu, dabei kam er offensichtlich einem Dickwanst in einem grauen, kurzärmeligen Hemd und einer breiten Leinenhose zuvor, der ebenfalls darauf zustrebte.
An der Wand war ein Rednerpult für den Vortragenden vorbereitet. Eine ältere Frau in einem weißen Kittel brachte einen Krug Wasser sowie ein Glas und stellte beides auf das Pult. Mark sah sich um. Er fand es interessant, die Menschen zu beobachten, die jetzt einen Monat lang um ihn sein und sich an seiner Seite erholen würden. Vielleicht würde er sich sogar mit einigen von ihnen anfreunden.
Ein ganz gewöhnliches Publikum. Es gab wesentlich mehr Männer, und sie sahen so aus, als würden sie vor Gesundheit strotzen. Frauen gab es wenige, doch da, zwei Reihen hinter Mark, saß eine hübsche Brünette, neben ihr jedoch noch so ein gesund aussehender Kerl, glatt rasiert und mit hervorstehenden Wangenknochen. Obwohl, vielleicht gehörte er ja gar nicht zu ihr …
Mark drehte sich um, um die andere Saalhälfte zu überblicken.
„Genossen!“, ertönte vom Rednerpult her eine angenehme Baritonstimme. „Genossen, ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit!“
Am Rednerpult stand der Vortragende – ein stämmiger, kleiner Mann in einem grauen Anzug und mit einer wuchtigen Brille auf der Nase. Nun nahm er die Brille jedoch noch einmal ab, um das Publikum zu mustern.
„Guten Tag!“, sagte er zur Begrüßung.
Eine wirklich erstaunlich angenehme Stimme!, dachte Mark.
„Ich möchte mit Ihnen über die Sonne und das Meer sprechen.“ Der Vortragende hob das Kinn, um dadurch diese beiden Worte zu betonen. „Jetzt sagen Sie mir einmal: Warum lieben wir alle den Sommer so sehr? Warum träumt jeder davon, seinen Erholungsurlaub gerade im Sommer zu nehmen? Ist das ein Vorurteil, eine Mode? Oder stecken dahinter etwa triftige Gründe? Die Liebe zum Sommer ist biologisch tief verwurzelt …“
Die Stimme des Vortragenden fesselte Mark und es wurde ihm so heiß, als würde er nicht einem Vortrag zuhören, sondern unter dem Einfluss eines mächtigen Hypnotiseurs stehen. Er lockerte den Knoten seiner Krawatte und knöpfte den obersten Knopf seines weißen Hemdes auf. Sodann nahm er eine bequemere Haltung auf seinem Stuhl ein, indem er die Arme auf die weichen, mit braunem Wachstuch bezogenen Armlehnen stützte.
„ … ihr liegt die Liebe zur Sonne als Ursprung des Lebens zu Grunde.“ Die Baritonstimme fuhr im Singsang mit dem Vortrag fort. „‚Die Natur ist der beste Arzt!‘, das wussten schon die alten Römer. Und das ist die Wahrheit. Schauen Sie sich doch nur die Triebe von Kartoffeln im dunklen Keller an: Sie sind bleich und kränklich. Schauen Sie sich die Kinder an, die in Kellerbehausungen wohnen: Auch sie sind bleich und blutarm, wie die Kartoffeltriebe im Keller. Aber man braucht nur die Kartoffeltriebe mit dem Sonnenlicht aussetzen oder die Kinder aus den dunklen und feuchten Kellern an die Sonne lassen – dann haben wir plötzlich ein ganz anderes Bild: Die wundertätige Sonne erfüllt sie mit Lebensenergie. Das ist der Grund, warum alle, denen nicht der Kopf verdreht ist von der idiotischen Mode der Blässe und des matten Teints, danach streben, im Sommer braun zu werden. Sonnenbräune ist ein äußeres Zeichen für die Verbesserung der Gesundheit eines Menschen. Daher zieht es alle zur Sonne, von den Bäumen bis zu den Menschen. Und deshalb müssen wir alle den Sommer nutzen …“
Mark hörte inzwischen mit geschlossenen Augen zu. Die Vorfreude auf den Urlaub ähnelte einem märchenhaften Traum, einem Glücksgefühl. Wie lange hatte er nicht mehr in einem Saal
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