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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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gesessen und jemandem einfach nur zugehört. Wie lange schon war er kein gewöhnlicher Zuhörer mehr gewesen, kein winziger Teil des Publikums. Und wie angenehm: Die Aufmerksamkeit des Vortragenden erfasst dich, seine angenehme Stimme erklingt nur für dich.
    Sein Kopf senkte sich auf die rechte Schulter, die der Papagei malträtiert hatte. Und so veränderte sich auch seine Haltung und er neigte sich zur rechten Seite.
    Der Mann, der dort saß, klein und untersetzt, mit weichen, sanften Gesichtszügen und kurzgeschnittenem, dunkelblondem Haar, rückte ebenfalls nach rechts und sah Mark dabei keineswegs missgestimmt, sondern geradezu verständnisvoll an.
    Der Vortragende fuhr fort. Das Interesse, das in den Gesichtern des Publikums geschrieben stand, spornte ihn an.
    „ … Es gibt keinen erfreulicheren Anblick als gebräunte, bis zum Gürtel entblößte Körper von Ausflüglern, die sich auf malerischen Bergpfaden oder am Meeresstrand unter den glühenden Strahlen der Sonne des Südens bewegen. Es gibt nichts Schöneres als ganze Reihen von braungebrannten Körpern, die am Meeresstrand zur Badestunde ausgestellt sind. Und wie Würmer oder gar Maden so weiß leuchten zwischen ihnen die Körper der Neuen auf, die sich der Sonne noch nicht ausgesetzt haben. Und den Effekt der südlichen Sonne auf der Krim und an der Schwarzmeerküste verstärkt natürlich noch die Wirkung des Meeres. Das Meer, das in der tropischen Hitze des südlichen Klimas für Frische sorgt; das Meer, dessen Schönheit seinesgleichen sucht; das Meer, das ein beispielloses Badevergnügen ermöglicht; das Salzwasser, das die Nerven stärkt und auf die Blutgefäße einwirkt – dieses Meer zieht Ausflügler an, die Kranken und die Erholungsuchenden. Sonne und Meer – das ist eine Kombination, die ebenso schön wie gesund ist. Es ist die Aufgabe aller öffentlichen Einrichtungen, sowohl staatlicher als auch ehrenamtlicher, auf jede erdenkliche Weise diesen Drang zur Sonne und zum Meer zu unterstützen und den Werktätigen die Möglichkeit zu geben, ihre Arbeitsfähigkeit durch diese Heilkraft der Natur wiederherzustellen und zu stärken. Es ist eine schlechte Gewerkschaft, die ihre Mitglieder darin nicht unterstützt; es ist eine schlechte staatliche Arbeiterbehörde, die ihre Arbeiter darin nicht unterstützt; es ist ein schlechter Bewohner unseres Staates, der nicht aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln danach strebt, die Sommerzeit zu nützen …“
    In diesem Moment bekam eine Frau in den hinteren Reihen einen Niesanfall. Der Vortragende reckte seinen Hals wie eine Giraffe, machte diejenige mit durchdringendem Blick ausfindig und ließ seine Baritonstimme über die Köpfe hinweg in ihre Richtung erschallen: „Gesundheit!“
    „ … sich erholen, sich auskurieren“, fuhr er fort, als es im Saal wieder still geworden war, „und sich im Sommer abhärten, besonders in der Sonne des Südens und am Meeresufer – das ist Ihre nächste Aufgabe für diesen heutigen Tag. Das muss für alle Werktätigen zum Gegenstand ihres Bemühens werden, denn die Sonne und das Meer wirken vielseitig und energievoll: Sie härten ab und sie machen gesund!“
    Nach dem Vortrag schloss sich Mark dem Strom der Feriengäste an und ließ sich davon in den geräumigen Speisesaal treiben.
    „Genosse Iwanow?“, ertönte die laute Stimme der Diätschwester, die die Kurkarte der neuen Feriengäste überprüfte. „Schmerzen an der Leber? Oder im Magen?“
    Mark beschloss, nicht zu klagen.
    „Nein, alles in Ordnung“, sagte er.
    „Na wunderbar, Genosse Iwanow. Dann setzen Sie sich bitte an Tisch Nummer 15, er ist dort am Fenster, mit Aussicht sozusagen. Suchen Sie sich irgendeinen Platz aus. Aber setzen Sie sich bitte dann immer dorthin, damit Ordnung herrscht.“
    Nachdem er seinen Platz an dem Tisch ausfindig gemacht hatte, fühlte sich Mark angenehm entspannt. Auf dem Tisch, der mit einer schneeweißen Tischdecke bedeckt war, befand sich auf einem Ständer ein Körbchen mit Brot und gleich daneben, etwas tiefer, ein kleineres mit Servietten.
    Ein dreistöckiges Wägelchen mit warmen Speisen wurde an den Tisch herangefahren, und die Kellnerin, die es schob, eine kleine, braungebrannte junge Frau mit einem langen schwarzen Zopf, stellte lächelnd einen Teller Suppe vor Mark auf den Tisch.
    „Sitzt hier schon jemand?“, fragte sie und deutete dabei auf die noch leeren Plätze.
    Mark zuckte mit den Achseln.
    „Egal, gleich wird sich jemand dazusetzen“, murmelte sie

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