Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman
Genossen Kalinin.
„Wie soll ich sagen … Ein echter Kommunist fühlt doch keinen Schmerz, er muss schließlich hart wie Stein sein. Das hat Lenin gesagt. Und ein Stein fühlt ja nichts. Wenn er zertrümmert wird, dann fliegen nur die Splitter! Nun, menschlich betrachtet tut es natürlich weh. Aber denkst du etwa, dass nur sie die ÜT und die ÜW durchlaufen? Wir machen das zweimal im Jahr … Hier, schau!“
Und Woltschanow hob die Uniformjacke hoch und zeigte an der Seite und auf seiner Brust violette Narben.
„Das ist von der ÜW , die ÜT hinterlässt keine Spuren.“
Dobrynin schüttelte betroffen den Kopf.
„Magst du Gedichte?“, fragte Timofej plötzlich.
Dobrynin sah den Oberleutnant aufmerksam an. Kann es denn sein, dachte er, dass beim Militär alle Gedichte mögen?
„Hm, grundsätzlich ja …“
„Also, ein Dichter hat einmal über uns gesagt: ‚Wer aus solchen Kerlen Nägel herstellt, der hätte die stärksten Nägel der Welt!‘“ Woltschanow machte eine Pause und wartete, damit der Sinn des Gedichtes tief in das Bewusstsein des Volkskontrolleurs einsickern könne. „Das trifft es genau!“
Die Verse gefielen Dobrynin tatsächlich. Nachdem der Volkskontrolleur sie einige Male in Gedanken wiederholt hatte, um sie sich einzuprägen, trank er seinen Tee aus und nahm den letzten Sternenkeks vom Teller.
Woltschanow sah auf seine Kommandantenuhr und schüttelte plötzlich den Kopf.
„Wie die Zeit vergeht“, murmelte er nachdenklich. „So bemerkt man gar nicht, dass man sich plötzlich in der Zukunft befindet! Ja, ja ...“ Er machte eine heftige Bewegung mit dem Kopf, als wolle er eine süße, aber nutzlose Vision verjagen, und fuhr dann mit einer ganz anderen Stimme fort, die militärisch und streng klang:
„Es ist an der Zeit zu gehen, Genosse Dobrynin. Auch Genosse Kalinin erwartet dich heute noch.“
Dem Volkskontrolleur kam der Weg, der über die Stufen nach oben führte, sehr lang vor. Und wieder musste er staunen, als er durch eine der Türen nach draußen schritt und sich auf den gleichmäßigen Pflastersteinen des Kremlgeländes wiederfand.
Woltschanow rief den neben einer Blautanne stehenden Rotarmisten heran, befahl ihm, den Volkskontrolleur zum Genossen Kalinin zu führen, und drückte dann Dobrynins Hand so heftig zum Abschied, dass vor dessen Augen Sterne tanzten.
„Also, Pawel, vergiss unsere Leute nicht!“, sagte er ernst. „Bis bald!“
„Bis bald!“, entgegnete der Volkskontrolleur und ging neben dem Rotarmisten über die Pflastersteine des Kreml, die so gleichmäßig wie der Himmel waren.
Auf dem langen und breiten Gang herrschte ein Lärmpegel wie auf einem Bahnhof. Ausgerechnet vor der Zimmertür des Genossen Kalinin drängte sich eine Gruppe Menschen. Dobrynin blieb ratlos stehen. Wenn Genosse Kalinin dermaßen beschäftigt war, dann, so dachte er, würde es ihm wohl kaum gelingen, sich heute mit ihm zu treffen. Der Rotarmist jedoch, ein sommersprossiger junger Bursche, sah dem Volkskontrolleur übermütig in die Augen, zwinkerte ihm zu und sagte dann ganz unmilitärisch:
„Da drängen wir uns durch.“ Dann machte er einen entschlossenen Schritt vorwärts.
Nachdem er Dobrynin einen Durchgang durch die Menge gebahnt hatte, hielt der Rotarmist direkt an der Türschwelle. Hinter ihm blieb der Volkskontrolleur stehen. Daneben knipsten irgendwelche Menschen, offenbar Journalisten, mit ihren Fotoapparaten. Sie fotografierten den Genossen Kalinin und zwei Ärzte in weißen Kitteln, die ihm Blut abnahmen.
„Na, na!“, sagte eine der beiden, während sie Kalinin den rechten Arm massierte. „Reißen Sie sich doch ein wenig zusammen. Das ist doch peinlich, schließlich sind Sie ja ein Vorbild für das ganze Land!“
Wahrscheinlich dachte die Ärztin, dass sie flüsterte, aber ihre tiefe Stimme war im ganzen Raum zu hören und drang natürlich bis zu den Journalisten vor.
Kalinin wirkte kleinlaut. Und da fiel sein Blick auf den Volkskontrolleur und er klammerte sich an ihn wie an einen Rettungsring. Er lächelte Dobrynin mit dem Lächeln eines erschöpften, kranken Mannes zu und deutete mit dem Kopf auf die Ärztin und auf den Gehilfen, der entweder ein Arzt oder ein Arzthelfer war. Dobrynin verstand seine Geste. Sie war leicht zu verstehen, denn schließlich war klar, was Kalinin sagen wollte: Siehst du, wie es mir geht, ja?! Und Dobrynin nickte teilnahmsvoll zurück.
Endlich zog die Ärztin die Nadel mitsamt dem Röhrchen aus der Vene. Sie legte eine
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