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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Überall lagen Menschen, die sich auf die Erde pressten, sich an sie drückten und sie umarmten. Auf dem Feld streiften Pferde und Kühe umher, und hinter diesen ragte etwas in die Höhe, das einem kleinen Berg ähnelte, etwas, das es vor dem Donner auf dem Feld nicht gegeben hatte.
    Die Menschen begannen sich zu bewegen und aufzustehen. In der dunklen Stille war plötzlich Seufzen und Ächzen zu hören, und wie die Frauen leise zu Gott riefen. Die Männer gingen nach und nach auf den Weg hinaus, aber längst nicht alle erhoben sich von der Erde. Viele blieben liegen, und nachdem der Engel einige mühselige Schritte auf den nächsten am Boden liegenden Menschen zugemacht hatte, bückte er sich und berührte ihn an der Schulter. Doch der Liegende rührte sich nicht.
    Irgendwo in der Nähe schrie plötzlich eine der Frauen auf, aber sogleich herrschte sie jemand an, und sie hielt sich wahrscheinlich selbst die Hand vor den Mund und heulte so weiter.
    Der Mann, der vor dem Engel auf der Erde lag, war tot. Neben ihm lag ein runder, schwarzer Stein, fast ebenso groß wie sein Kopf. Offensichtlich hatte ihn dieser Stein erschlagen.
    „Archipka! Archipka!“, rief jemand, der zwischen den Liegenden und Stehenden auf und ab ging.
    „Was ist?“, ertönte die Stimme des entflohenen Kolchosbauern zur Antwort.
    „Er lebt!!!“ Jemand stieß einen Freudenschrei aus, und dieser Schrei klang geradezu unheimlich vor dem Hintergrund von lauter werdendem Weinen.
    Was war das?, dachte der Engel, der er über den Toten gebeugt stand.
    „Na, wie geht es dir?“, fragte der Oberdeserteur, der an den Engel herangetreten war. „Hm?“
    „Ich lebe“, antwortete der Engel.
    „Fedka ist tot“, teilte der Deserteur schmerzerfüllt mit.
    „Wer?!“
    „Na der, der mit uns vom Auto gesprungen ist und sein Gewehr beschädigt hat …“, erinnerte ihn der Deserteur.
    Das Bein schmerzte den Engel wieder heftiger und er setzte sich auf den Boden.
    „Was ist mit dir?“, fragte der Deserteur. „Hat’s dich auch erwischt?!“
    Der Engel nickte.
    „Na, dann ruh dich mal aus, ich werde dort nach dem Rechten sehen“, murmelte der Oberdeserteur. „Wir müssen ja weiter, sonst schaffen wir es nicht.“
    Wieder blieb der Engel allein zurück. Die vom hellen Mondschein erleuchtete Nacht verbarg nicht, was vor sich ging. Der Engel sah, wie die Menschen die am Boden Liegenden emporhoben und sie an einem Ort zusammenbrachten, wie die Stachanow-Bauarbeiter gleich neben der Straße eine große Grube auszuheben begannen und wie ein Bauernweib sich auf einen der auf der Erde Liegenden warf und nicht zuließ, dass zwei Rotarmisten ihn aufhoben, um ihn zu den anderen zu tragen. Das alles sah der Engel, aber er vermochte den Grund für das Unglück, das über sie hereingebrochen war, nicht zu begreifen. Es konnte nicht die strafende Hand Gottes sein, da der Herr gnädig war. Es konnte aber auch nicht der Teufel sein, denn der suchte sich seine Opfer aus. Nein, der Engel konnte es nicht begreifen: woher dieser Steinregen gekommen war, der ihre Reise aufhielt, so als ob ihr Einzug ins Neue Gelobte Land nachdrücklich unerwünscht wäre.
    Währenddessen trat die Nacht ihren Rückzug an. Aus der Tiefe des Himmels kamen die ersten Strahlen zum Vorschein. Und die Sterne verblassten, sie vergingen, als ob der Himmel sie aufgenommen hätte in seinen blauen Stoff, und nichts blieb stattdessen zurück.
    Ein Windhauch strich über die Baumkronen des Waldes und raschelte in den Blättern. Die Vögel sangen. Beinahe schon lautlos weinten die Frauen und Greisinnen, die neben den Toten auf der Erde saßen. Erschöpft waren die am Leben Gebliebenen am Waldrand eingeschlafen, unter ihnen auch Archipka-Stepan.
    Alles auf der Erde war gut und vom Standpunkt der Natur aus schön. Zwischen den Feldern ragte ein schwarzer Fels empor, dessen Seiten abgesplittert waren – ein Eindringling aus jenseitigen, unbegreiflichen Welten. Vielleicht ein Splitter eines erloschenen und erstarrten Sterns, vielleicht auch etwas anderes. Und wie große Hagelkörner lagen um ihn herum Hunderte ebenso schwarzer runder Steinchen, deren Größen von einer Kinderfaust bis zu einem Bärenkopf reichten.
    Die Sonne ging auf und ihre Strahlen senkten sich auf die Hagelkörner aus Stein herab und ließen neue Schatten in recht unbedeutendem Ausmaß entstehen. Nur der Schatten des Felsens breitete sich ausladend über den Erdboden aus, und bis zu zwanzig Menschen hätten darin Platz gefunden, hätte

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