Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
Vom Netzwerk:
unverdient gestorben sind, am Feind zu rächen. Und wir selbst versprechen, dass wir, sobald wir das Neue Gelobte Land erreicht haben, ein Denkmal für unsere Genossen errichten werden, für die Bauarbeiter und die Rotarmisten, ein Denkmal, das Jahrhunderte dort stehen soll, und wir werden die Namen aller Genossen, die wir heute hier begraben, darin einmeißeln …“
    Nachdem er zu Ende gesprochen hatte, kehrte der Bauarbeiter an seinen Platz zurück, und wieder blieb die Mitte des Kreises leer und die Menschen standen stumm da und fühlten, wie die Trauer in der Welt rings um sie anschwoll und wie der Wind verstummte, um den menschlichen Kummer nicht durch das Rascheln der Blätter und Grashalme zu stören.
    „Ach, hätten wir doch einen Popen, dann könnt er sie segnen!“, seufzte einer der Bauern laut.
    „Und ein Engel, geht auch ein Engel?“, fragte der Oberdeserteur. „Einen Engel haben wir ja hier unter uns!“
    Da begannen sich alle erstaunt umzudrehen. Schließlich hatten sie nicht gewusst, dass sich ein Engel unter ihnen befand.
    Und der Oberdeserteur trat an den Engel heran, drängte ihn in die Mitte des Kreises und sagte:
    „Na los, sag irgendetwas!“
    Da stand der Engel und sah die Leute an, die ihn umgaben. Er dachte kurz nach. Dann beschloss er zu sprechen, und er hoffte dabei auf die Verständigkeit seiner Zuhörer und auf ihr Streben nach Gerechtigkeit.
    „Ich freue mich, bei euch zu sein“, sagte er mit halblauter Stimme, aber da es still geworden war, konnten ihn alle gut hören. „Denn dort im Himmel hält man dieses Land für schrecklich sündig … Man kann dort nicht verstehen, warum die Menschen aus diesem Land nach dem Tod nicht ins Paradies kommen. Ich verstehe das auch nicht. Ich sehe doch, wie ihr euch um ein gerechtes Leben bemüht, wie ihr auf diesem dornenreichen Weg eure Brüder verliert … Ich bin sicher, dass ich diesen schwierigen Weg mit euch gemeinsam bis zum Ende gehen werde, und gemeinsam werden wir nach einem Leben in Gerechtigkeit und ohne Sünde an das Tor des Paradieses gelangen, und dann wird mir vergeben dafür, dass ich von dort weggegangen bin, und ihr werdet aufgenommen werden als die am meisten geschätzten neuen Himmelsbewohner …“
    Als er seine Worte beendet hatte, blickte sich der Engel um und sah Tränen in den Augen vieler Männer und Frauen und ein verlegenes, fast freudiges Lächeln auf ihren Gesichtern, das den Traum vom Paradies widerspiegelte, der so bald Wirklichkeit werden konnte. Und er erblickte die Lehrerin Katja, deren Gesicht etwas strenger war als das der übrigen, aber als sich ihre Blicke trafen, schien es dem Engel, als ob ihr Gesichtsausdruck milder würde und gütiger.
    Er verließ die Mitte des Kreises und damit endete die Trauerkundgebung. Die Rotarmisten schlichteten die ihrigen auf dem Boden des Gemeinschaftsgrabes, und die Bauarbeiter taten dasselbe. Sie schütteten Erde darüber und formten Hügel über den beiden Gräbern. Auf dem einen befestigten sie eine Budjonny-Mütze, die sie mit einer Schnur an den gefällten Stamm eines jungen Ahorns banden. Auf dem anderen pflanzten sie eine Birke, die sie gleich in der Nähe im Wald ausgegraben hatten.
    Zum Zeichen des letzten Grußes gaben die Rotarmisten Gewehrsalven ab. Danach ließen sie sich im Wald zu einem Mahl nieder. Die Frauen reichten Krüge mit Milch herum: Sie hatten die auseinandergelaufenen, über die Felder verstreuten Kühe selbst eingefangen. Von den Pferden kehrten nur zwei zu den Rotarmisten zurück, die anderen hatte der Schreck offenbar so weit fortgejagt, dass sie nicht zurückkamen.
    Archipka-Stepan, der Engel, der Oberdeserteur, Trofim und der bucklige Buchhalter aßen gemeinsam.
    Ein kleiner Mann in einer schmutzigen Wattejacke ging von einer Gruppe zur nächsten. In der Hand hielt er eine große Flasche mit Selbstgebranntem und er schenkte allen ein, die etwas zum Einschenken hatten, und sagte dazu: „Im Gedenken an die unsrigen …“
    Noch schien die Sonne, aber die Schatten wurden schon länger und der Abend rückte näher. Die Erde bereitete sich auf ihren nächtlichen Schlaf vor.
    Der Rotarmist Trofim dachte immer wieder an seinen Gefährten. Er lag abseits im Gras und weinte. Man ließ ihn in Ruhe und nur von Zeit zu Zeit warf man mitleidige Blicke in seine Richtung.
    Auf dem immer noch hellblauen Himmel funkelten einige Sterne und im Osten zeigte sich der Mond, rund wie das paradiesische Weizenbrot und von derselben goldenen Farbe.
    Der Engel

Weitere Kostenlose Bücher