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Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman

Titel: Der wahrhaftige Volkskontrolleur - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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er zurückkam: „Ja, es gibt keine Frauen, nur Männer.“
    Die Leute zuckten vor Verwunderung mit den Achseln.
    „Also was ist, graben wir?!“, tat der bucklige Buchhalter einen Appell.
    Die Bauarbeiter nahmen die Schaufeln zur Hand und machten sich wie gewohnt an die Arbeit, so als würden sie die Grube für ein Fundament ausschaufeln.
    Die Grube wurde zusehends tiefer. Die Erde war weich und nachgiebig und auch erstaunlich leicht, woraus die Bauarbeiter schlossen, dass es bis zum Neuen Gelobten Land gar nicht mehr weit sein konnte.
    Der Engel erwachte und stand auf. Er blickte um sich, und als er die Bauarbeiter bei der Arbeit sah, ging er zu ihnen.
    „Wo warst du denn?“, rief ihm der Oberdeserteur zu, der das Entstehen der Gemeinschaftsgräber gleichfalls verfolgte.
    „Ich habe geschlafen“, antwortete der Engel.
    „Jetzt gibt es die Beerdigung. Wir begraben sie, dann können wir noch schlafen, bis es dunkel wird, und in der Nacht kommen wir bestimmt schon an Ort und Stelle an. Was denkst du?“
    „Wir werden ankommen!“, antwortete der Engel überzeugt, denn er selbst glaubte fest daran, das Neue Gelobte Land zu erreichen.
    Die Gruben waren schnell ausgehoben, und alle machten sich gemeinsam daran, die Toten auseinanderzusortieren.
    Und da stellte sich noch etwas heraus, das alle in großes Erstaunen versetzte – unter den Toten befand sich kein einziger Kolchosbauer. Das gefiel den Rotarmisten und Bauarbeitern nicht besonders; sie sahen die Bauern mit schiefem Blick an, aus dem deutlich der Unmut sprach.
    „Vielleicht haben sie die ihrigen in der Nacht begraben, so wie es sich gehört?“, mutmaßte plötzlich der Rotarmist Trofim, der stark unter dem Tod seines Kameraden Fedka litt.
    „Aber nein, wir haben niemanden beerdigt …“, gab einer der Bauern zur Antwort.
    „Und weswegen haben dann eure Frauen die ganze Nacht so geheult?“, versetzte ein anderer Rotarmist sogleich, so als ob er jenen an die Wand stellen wollte.
    „Na, wegen euren Toten!“, antwortete der Bauer. „Ihr seid doch ohne eure Frauen gekommen, eure Toten haben niemanden, der um sie trauert, also haben sie es getan!“
    Diesen Worten wurde offenbar Glauben geschenkt und über dem Feld hing eine beklemmende Stille, wie sie bisweilen auf herbstlichen Friedhöfen entstehen konnte.
    In dieser Stille trug man die Toten aufgeteilt zu den beiden Gruben und es stellte sich heraus, dass elf Rotarmisten umgekommen waren und acht Bauarbeiter, und unter diesen acht war auch der Brigadier, der die schriftlich niedergelegten Geheimnisse der Bauweise von Kuhställen und Wohnhäusern gekannt hatte.
    „Wir müssen eine Kundgebung abhalten, wie es sich gehört …“, sagte der Rotarmist Trofim unsicher, aber in bestimmtem Ton. „Um unseren Schmerz auszusprechen.“
    Verhalten bekundeten die Rotarmisten ihre Zustimmung. Die Bauern schwiegen, da ihnen der Charakter einer Kundgebung nicht klar war. Versammlungen kannten sie, aber Kundgebungen wurden in Kolchosen noch nicht abgehalten.
    „Na, dann will ich beginnen!“, verkündete der Rotarmist Trofim, der Mut gefasst hatte, und sogleich rückten die Menschen von ihm ab und formten einen Kreis, in dessen Mitte der Rotarmist stand.
    „Ich bin kein Meister im Sprechen … Mir fällt das Sprechen schwer, aber ich trauere sehr um meinen Genossen Fedka, der letzte Nacht für die gerechte Sache gestorben ist … Und obwohl wir nicht wissen, wer unsere Genossen umgebracht hat, schwöre ich im Namen der Roten Armee vor dem Volk, dass ich den Feind, der diese schmutzige Sache getan hat, finden und mich an ihm rächen werde.“
    Nachdem Trofim geendet hatte, verließ er die Mitte des Kreises von Menschen, welcher nun leer blieb. Die Menschen trauerten schweigend und gedachten der Verstorbenen.
    „Einer der Bauarbeiter soll etwas sagen!“, sagte ein junger Rotarmist leise, auf dessen Uniformjacke ein Orden glänzte.
    Ein älterer Arbeiter trat langsam in die Mitte des Menschenkreises.
    „Ich … ich habe nie gelernt, schön zu sprechen … Aber mir kommen die Tränen, wenn ich an meine Genossen denke, und deshalb möchte ich ihre Namen aufsagen, damit alle wissen, wen wir heute beerdigen: Das sind Prochorow Stepan, Kirill Putilzew, Safronow Pawel, Ryschkow Iwan, Bogoduchow Iwan, Strelzow Grigorij, Kusnezow Maksim, Brigadier Schubin Boris … Wir schließen uns natürlich den Worten des Rotarmisten an, und da wir nur Bauarbeiter sind, bitten wir die Rote Armee, sich auch für unsere Genossen, die

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