Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
eröffnete Mary ihrem Mann, dass er vielleicht bald wieder Vater werden würde.
    »Oh.« Zuerst runzelte der die Stirn, dann grinste er verlegen. »Das war aber ein Glückstreffer.«
    »Ich weiß.« Sie zuckte die Achseln. »So etwas passiert eben manchmal.«
    Möglicherweise hätte Tom sich noch länger darüber den Kopf zerbrochen, doch kurz darauf erschien John Pride, der zuvor zwei Stunden lang von seinem Bruder Luke bearbeitet worden war. Er hatte das Pony bei sich, und er schlug vor, den Streit zu beenden.
     
     
    1300
     
    Eines Dezembernachmittags, als die gelbliche Wintersonne tief am Horizont stand und ihre letzten Strahlen über die Heide von Beaulieu schickte, ritten zwei in dicke Mäntel vermummte Männer langsam über die mit Eis bedeckte Ebene auf die Abtei zu.
    Schon vor Tagen hatte es geschneit, sodass die Heide nun von einer dünnen Kruste überzogen war, die unter den Hufen der Pferde zerbrach. Von Osten her wehte ein leichter, kühler Wind, der kleine Schneeflocken vor sich hertrieb. Die Zweige der verschneiten Bäume warfen lange Schatten, die in Richtung Beaulieu wiesen.
    Fünf Jahre waren vergangen, seit Bruder Adam die Abtei verlassen hatte und in das triste Tochterhaus in Newenham übergesiedelt war. Fünf Jahre nur in Gesellschaft von etwa einem Dutzend Mitbrüder an der wilden Westküste. Auch wenn die Umgebung, die ihn nun begrüßte – die vereiste Landschaft im schwefelgelben Licht der untergehenden Wintersonne –, ziemlich trübe wirkte, bemerkte er nichts davon.
    Er spürte nur das Heimweh und wusste, dass es bis zu den grauen Gebäuden am Fluss bloß noch eine knappe Stunde Wegs war.
    In jener Zeit wurden einige der Mönche in dem kleinen Mutterhaus in Newenham von einer seltsamen Krankheit befallen, deren Ursachen nie vollständig aufgeklärt werden konnte. Obwohl alle Einzelheiten in den Büchern der Abtei Beaulieu verzeichnet sind, fand man nie heraus, ob es am Wasser, der Ernährung, dem Erdboden oder den Gebäuden selbst lag. Doch einige der Brüder waren so schwer von dem Leiden betroffen, dass nichts anderes übrig blieb, als sie nach Beaulieu zurückzubringen, wo man sie besser pflegen konnte.
    Auch Bruder Adam litt an dieser Krankheit. Er nahm das gelbe Licht um sich herum nicht wahr, denn er war blind.
     
     
    Nach Bruder Adams Eintreffen wunderten sich die Mönche von Beaulieu immer wieder, wie er sich ohne fremde Hilfe in der Abtei zurechtfinden konnte, und zwar nicht nur im Kreuzgang. Sogar mitten in der Nacht, wenn die Mönche durch den Flur und die Treppen hinab in die Kirche zur Andacht gingen, folgte er ihnen, ohne dass man ihn führen musste, und nahm seinen Platz im Chorgestühl ein. Auch draußen wanderte er über das Klostergrundstück, ohne sich je zu verirren; er pflanzte Gemüse oder fertigte Kerzen an.
    Bruder Adam war immer noch ein gut aussehender, kräftig gebauter Mann. Er sprach wenig und war am liebsten allein, doch immer strahlte er eine stille Würde aus.
    Nur einmal, wenige Tage lang, etwa achtzehn Monate nach seiner Rückkehr, schien ihn etwas aus dem Gleichgewicht gebracht zu haben. Er verlief sich einige Male und stieß ständig gegen alle möglichen Gegenstände. Nach einer Woche, in der der Abt sich große Sorgen um ihn gemacht hatte, erholte er sich wieder. Es kam nicht mehr zu derartigen Zwischenfällen. Niemand wusste, was Bruder Adam so verstört hatte.
    Bis auf Bruder Luke.
    An einem warmen Sommernachmittag hatte der Laienbruder sich erboten, den zurückgekehrten Mönch auf einen Spaziergang, seinen Lieblingsweg am Fluss entlang, zu begleiten.
    »Auch wenn ich den Fluss nicht sehen kann, so werde ich ihn zumindest riechen«, meinte Bruder Adam. »Also gehen wir.«
    Hin und wieder hatte Luke ihn am Arm nehmen müssen. Doch einige Warnungen vor Hindernissen auf dem Weg hatten genügt, den Wald verhältnismäßig rasch zu durchqueren. Schließlich erreichten sie den Sumpf an der Flussbiegung, wo der Mönch erfreut dem Flügelschlagen einiger Schwäne lauschte, die sich aus dem Wasser erhoben.
    Nachdem sie eine Weile schweigend dagestanden und die Sonne auf ihren Gesichtern gespürt hatten, hörte Bruder Adam auf einmal Schritte. »Wer ist das?«, fragte er.
    »Jemand, der dich sprechen will«, erwiderte Luke und fügte hinzu: »Ich gehe mal ein Stück.« Auf einmal wurde Adam klar, um wen es sich handelte, und er erschrak.
    Sie stand dicht vor ihm. Er konnte sie riechen. Er spürte ihre Gegenwart, wie es nur ein Blinder vermag. Am liebsten

Weitere Kostenlose Bücher