Der Wald der Könige
verkündete der Diener. Nun ging es nach rechts. Der Prior folgte eilig. Dann aber runzelte er die Stirn. Wohin war der Bursche auf einmal verschwunden? Er hielt inne und rief nach ihm.
Zu seinem großen Erstaunen wurde er plötzlich von hinten gepackt und vom Pferd gezerrt. Er erhielt keine Gelegenheit zur Gegenwehr, denn schon wurde ein Seil um ihn gewickelt, und kurz darauf hatte man ihn an einen Baum gefesselt.
Er wollte schon »Mörder! Diebesgesindel!« schreien, als unvermittelt eine weitere Gestalt vor ihm stand. Es war ein bärtiger Waldbewohner, den er erst auf den zweiten Blick als Bruder Luke erkannte.
»Du!« Unwillkürlich beugte sich der Prior vor und reckte den Kopf, als wolle er Luke beißen.
»Schon gut«, erwiderte der unverschämte Bursche. »Ich wollte nur mit Euch sprechen. Ich wäre ja zur Abtei gekommen, aber… « Lächelnd zuckte er die Achseln.
»Was willst du?«
»In die Abtei zurückkehren.«
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«
»Nein, Prior, ich hoffe nicht.« Der Laienbruder setzte sich vor Grockleton auf den Boden. »Hört mich an.«
Grockleton musste zugeben, dass er nicht mit einer solchen Ansprache gerechnet hatte. Zuerst erzählte Luke von der Abtei, den Gütern und den Jahren, die er dort verbracht hatte. Seine Schilderung war so schlicht und so gefühlvoll, dass selbst Grockleton widerwillig einräumen musste, dass Luke die Abtei offenbar von Herzen liebte. Dann erklärte der Laienbruder, was an jenem Tag auf dem Gut vorgefallen war. Er suchte keine Ausflüchte dafür, dass er die Wilderer hereingelassen hatte, doch er sagte, er habe Bruder Matthew daran hindern wollen, Martell zu schlagen. Dann habe er es mit der Angst zu tun bekommen und sei geflohen. Auch wenn dem Prior diese Darstellung der Ereignisse nicht gefiel, vermutete er insgeheim, dass sie der Wahrheit entsprach.
»Du hättest zurückkehren können.«
»Ich hatte Angst. Vor Euch.«
Den Gedanken, dass dieser Mann sich vor ihm fürchtete, fand Grockleton recht schmeichelhaft. »Und warum sollte ich etwas für dich tun?«, fragte er.
»Wenn ich Euch etwas mitteilen würde, das für das Wohl der Abtei wichtig ist, etwas, von dem niemand weiß, könntet Ihr Eure Meinung dann vielleicht ändern…?«
»Möglicherweise«, erwiderte Grockleton.
»Es wäre allerdings von Nachteil für einen der Mönche.«
Grockleton runzelte die Stirn. »Für welchen Mönch?«
»Bruder Adam. Es hätte schwere Folgen für ihn.«
»Was?« Das Funkeln in seinen Augen war nicht zu übersehen.
Auch Luke war es nicht entgangen. Er hatte damit gerechnet. »Ihr werdet ihn wegschicken müssen. In aller Stille. Ein Skandal wäre ohnehin schlecht für die Abtei. Und ich darf zurückkommen, ohne Prozess. Dafür könnt Ihr sorgen. Ich brauche Euer Ehrenwort.«
Grockleton zögerte. Er wusste, was eine Abmachung bedeutete, und er war ein Mann, der zu seinem Wort stand. Allerdings gab es da noch eine Schwierigkeit. »Ein Prior verhandelt nicht mit einem Laienbruder«, entgegnete er.
»Danach werdet Ihr nie wieder ein Wort von mir hören. Ich schwöre.«
Grockleton überlegte und wägte das Für und Wider ab. Er dachte auch an das Gericht und die Förster, die – wie er sehr wohl wusste – genug von ihm hatten. Wenn er sich vorstellte, wie dieser Bursche vor Gericht wortgewandt seine Sache vertrat, war es vermutlich besser, auf sein Angebot einzugehen. Und immerhin… hatte er angeblich etwas gegen Bruder Adam in der Hand. »Wenn es etwas Wichtiges ist, gebe ich dir mein Wort«, hörte er sich selbst sagen.
Und so verriet Luke Bruder Adam und seine Schwester Mary.
Grockleton empfand die Enthüllungen des Bauern eigentlich nicht als Verrat. Von Lukes Standpunkt aus betrachtet, handelte es sich um etwas Selbstverständliches. Die Familie seiner Schwester war im Begriff zu zerbrechen, und das wollte er unter allen Umständen verhindern. Ein plötzliches Ende mit Schrecken, und dann würde der Alltag einkehren. So war es eben in der Natur. Außerdem entging dem Prior nicht, dass es wirklich die beste Lösung war. Wenn Adam verschwand, würde Mary keine andere Wahl haben, als friedlich weiter mit ihrem Mann zusammenzuleben. Das Kind würde allgemein als Toms Kind gelten. Niemand hatte einen Nutzen davon, die Angelegenheit an die große Glocke zu hängen. Abgesehen von ihm selbst, Grockleton, natürlich, um es Bruder Adam endlich heimzuzahlen. Allerdings würde er damit auch den Ruf der Abtei schädigen. Und was würde der Abt
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