Der Wald der Könige
Michaelstag vielleicht doch.«
»Nein«, seufzte Luke. »Du kennst ihn nicht.«
»Ich denke immer noch, du solltest dich stellen. Sie werden dich schon nicht gleich hängen.«
»Wahrscheinlich nicht. Doch man kann ihnen nicht trauen.«
»Wohin willst du?«
»Möglicherweise auf Pilgerfahrt. Nach Compostella. Oder noch weiter.«
Compostella. Spanien. Er würde sich unterwegs durchbetteln müssen. Mary schüttelte den Kopf. »Du bist nie aus dem New Forest herausgekommen.«
Sie schwiegen eine Weile.
»Und was ist mit Bruder Adam?«, fragte er.
Sie senkte den Blick zu Boden. Nun hatte sie eine Hiobsbotschaft für ihn. »Ich glaube, ich bin schwanger.«
»Oh. Bist du sicher?«
»Beinahe. Es fühlt sich jedenfalls so an.«
»Kann es nicht auch von Tom sein?« Sie schüttelte den Kopf. »Was wirst du tun?« Sie zuckte nur die Achseln. Luke überlegte. »Du und Tom, ihr solltet… Er muss glauben, dass es seins ist, findest du nicht?«
Sie holte tief Luft. »Ich weiß.« Ihre Stimme klang kraftlos. Noch nie hatte er einen solchen Tonfall bei ihr gehört.
»Du bist doch schon so lange mit ihm verheiratet. So schlimm wird es nicht werden.«
»Du verstehst das nicht.« Das traf wirklich zu, für ihn waren sie alle nur Geschöpfe des Waldes.
»Wirst du es Bruder Adam sagen?«
»Vielleicht.«
»Du weißt, dass es nicht so weitergehen kann, Mary. Bald wird es Winter. Tom kommt nach Hause. Du hast eine Familie. Und Bruder Adam ist Mönch.«
»Es wird auch wieder einen Frühling und einen Sommer geben, Luke.«
»Aber Mary… «
Wie konnte er sie auch begreifen? Er war nur ein schlichter Junge. Sie würde das Bett mit Tom teilen müssen. Etwas anderes blieb ihr nicht übrig. Es führte kein Weg daran vorbei. Doch da war noch Adam. Sie hatte andere Frauen über ihre Liebhaber reden hören. Manchmal kam es selbst in den Dörfern zu einem Seitensprung, besonders zur Erntezeit. Als ihr Verhältnis mit Bruder Adam begann, hatte Mary geglaubt, er werde irgendwann einfach in die Abtei Beaulieu zurückkehren, wo er hingehörte. Doch sie hatte noch nie einen anziehenderen Mann kennen gelernt. Der Gedanke, so weiterzuleben wie früher, war ihr unerträglich. Dafür war zu viel geschehen.
»Beaulieu ist nicht weit, Luke. Ich kann nicht mehr bei Tom bleiben.«
»Du musst.«
»Nein.«
In jener Nacht führten Luke und Puckle ein langes Gespräch.
»Ich glaube, dir wird nichts anderes übrig bleiben«, meinte Puckle schließlich.
»Wirst du mir helfen?«, fragte Luke.
»Selbstverständlich.«
Wenn man von der Kirche aus dem Kreuzgang in östlicher Richtung folgte, stieß man zuerst auf den großen abgeschlossenen Wandschrank, wo der Großteil der Klosterbibliothek aufbewahrt wurde. Danach folgten die Sakristei und das große Domkapitel, wo Grockleton bei Abwesenheit des Abtes jeden Montagmorgen den versammelten Mönchen die Klosterregeln verlas. Dann kam das Skriptorium, wo Bruder Adam so gerne über Büchern brütete; dahinter lag der Schlafsaal der Mönche, und gleich um die Ecke, neben dem großen frater, stand das Kesselhaus, ein riesiger Raum, in dem ein Feuer brannte.
John von Grockleton war gerade aus dem Kesselhaus getreten, als der Bote eintraf. Er war ein Diener von Alban, der unter vier Augen mit dem Prior sprechen wollte. Seine Nachricht brachte Grockleton zum Schmunzeln, denn sie lautete: »Ich glaube, wir haben Bruder Luke, Prior.«
Allerdings habe der Gefangene bisher nicht reden wollen. Er selbst, Alban, zögere, ihn zur Abtei zu bringen, aus Angst, sie könnten sich wieder alle zum Narren machen. Also hatte er den Burschen in seinem Haus versteckt und bat den Prior, unauffällig zu ihm zu kommen und zu bestätigen, dass der Ergriffene wirklich Bruder Luke war. »Ich soll Euch begleiten, wenn Ihr gleich mitkommen wollt«, sagte der Diener.
»Ich komme sofort«, erwiderte Grockleton und ließ sein Pferd aus dem Stall holen.
Als sie über die Heide ritten, konnte der Prior seine Ungeduld kaum im Zaum halten. Sie trabten gemächlich dahin, obwohl er am liebsten galoppiert wäre. Am Ende der Heide begann der Wald, der westlich von Brockenhurst lag. Sie trabten einen Pfad entlang. Der Prior schnalzte mit der Zunge. Er spürte eine Zufriedenheit wie selten zuvor in seinem Leben.
»Hier entlang, Sir«, rief der Diener wieder und bog auf einen schmalen Pfad ab. »Eine Abkürzung.« Hin und wieder schnellte dem Prior ein Zweig ins Gesicht, doch das war ihm einerlei. »Und jetzt hier hinunter, Sir«,
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