Der Wald der Könige
sagen, wenn er, der Prior, das Ansehen der Abtei in den Schmutz zog? Nein, der Laienbruder hatte die Lage ganz richtig eingeschätzt. Außerdem dachte der Prior an die Eintragung in dem geheimen Buch, die nur dem Abt bekannt war. Er musste vorsichtig sein.
Aber was war mit Luke? Konnte man darauf vertrauen, dass er den Mund hielt? Wahrscheinlich schon. Denn er wollte bestimmt nicht seine Schwester in Schwierigkeiten bringen. Allerdings würde sein Wissen immer eine Bedrohung darstellen.
Also ist es besser für mich, wenn er in die Abtei zurückkehrt und nicht draußen frei herumläuft, überlegte der Prior.
Und so begann Grockleton zum ersten Mal in seinem Leben zu denken wie ein Abt.
Erfreut erfuhren die Mönche von Beaulieu ein paar Tage später, dass ihr Abt zurückgekehrt war und in absehbarer Zeit nicht mehr verreisen wollte.
Auch Bruder Adam war froh. Er befürchtete nur, dass der Abt ihn aus – inzwischen nicht mehr sehr willkommener – Güte von seinen Pflichten auf den Gütern entbinden würde. Aber für diesen Fall hatte er sich bereits einen Plan zurechtgelegt. Schließlich hatte er ausgezeichnete Arbeit geleistet. Sein Nachfolger würde ein Jahr brauchen, um sich das Wissen anzueignen, über das er inzwischen verfügte. Und wer würde diesen Posten freiwillig übernehmen wollen? Deshalb war es nur zum Wohl der Abtei, wenn er noch ein oder zwei Jahre die Aufsicht über die Güter führte. Bruder Adam hoffte, dass seine Begründungen ausreichend waren.
Was seine heimlichen Sünden betraf, so stand er inzwischen die Gottesdienste durch, ohne zu befürchten, sich selbst zu verraten. Er musste sich eingestehen, dass ihn die Sünde abgehärtet hatte.
Als Adam eintrat, war die Miene des Abtes freundlich, wenn auch ein wenig nachdenklich. Wie immer saß Grockleton auf seinem Platz und hatte die Klaue auf den Tisch gelegt.
Adam war so froh über das Wiedersehen mit dem Abt, dass er sich nicht weiter um den Prior kümmerte. Dann ergriff der Abt – nicht Grockleton – das Wort: »Nun, Adam, wir wissen alles über dein Liebesabenteuer mit Mary Furzey. Zum Glück sind weder ihr Mann noch unsere Mitbrüder im Bilde. Also möchte ich die Geschichte jetzt in deinen eigenen Worten hören.«
Grockleton hatte ihn eigentlich fragen wollen, ob er etwas zu beichten habe, um ihm Gelegenheit zu geben, sich der Lüge schuldig zu machen. Aber der Abt war strikt dagegen gewesen.
Das Geständnis nahm nicht viel Zeit in Anspruch, und der Abt verspürte kein Bedürfnis, Adams Demütigung unnötig in die Länge zu ziehen. »Es wird geheim bleiben«, sagte er zu Adam. »Zum Wohl der Abtei und, wie ich hinzufügen darf, auch der Frau und ihrer Familie zuliebe. Du musst fort von hier, und zwar noch heute. Doch niemand soll den Grund erfahren.«
»Wohin soll ich gehen?«
»Ich schicke dich in unser Tochterhaus in Devon. Nach Newenham. Kein Mensch wird das merkwürdig finden. Schließlich hat es dort in letzter Zeit Schwierigkeiten gegeben, und du bist – oder warst – einer unserer besten Mönche.«
Adam neigte den Kopf. »Darf ich mich von Mary Furzey verabschieden?«
»Ganz gewiss nicht. Du wirst kein Wort mehr mit ihr wechseln.«
»Es erstaunt mich« – Grockleton konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen –, »dass du überhaupt an so etwas denkst.«
»Nun.« Adam seufzte und sah Grockleton bekümmert, aber nicht unfreundlich an. »Dir fehlt eben die Erfahrung.«
Schweigen herrschte im Raum. Grockleton beugte sich fast unmerklich an dem dunklen, alten Tisch vor, und der Abt blickte in die Ferne, seiner Miene war nichts zu entnehmen. Deshalb ahnte Bruder Adam nicht, dass eine Eintragung in dem geheimen Buch des Abtes von Grockleton, einer Frau und einem Kind handelte. Aber das war in einem anderen Kloster gewesen, weit oben im Norden und vor sehr langer Zeit.
Nachdem Adam fort war, fragte der Abt: »Er weiß doch nicht, dass sie schwanger ist?«
»Nein.«
»Besser, wenn er es nie erfährt.«
»Richtig.« Grockleton nickte.
»Ach, ja«, seufzte der Abt. »Keiner von uns ist gegen die Sünde gefeit. Wie du selbst am besten weißt«, fügte er viel sagend hinzu.
»Das ist mir klar.«
»Ich möchte, dass er vor seiner Abreise zwei Paar neue Schuhe bekommt«, meinte der Abt mit Nachdruck.
Eine Woche später kehrte Bruder Luke in aller Stille nach St. Leonards zurück. Bei der nächsten Gerichtsverhandlung am St. Michaelstag wurde sein Fall nicht aufgerufen.
Etwa zur gleichen Zeit
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