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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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manche Eichen den ganzen Winter hindurch bis zum Frühling ihr Laub. Auch das Hervorbringen von Blättern zur Weihnachtszeit hatte vermutlich genetische Gründe. Und dass die Aufzeichnungen drei derartige Bäume in ein und derselben Gegend erwähnen, weist auf eine solche Ursache hin.
    Albion seufzte auf. War es wirklich ein Wunder, wie seine Mutter behauptete? Sprach der Baum zu ihm, um ihn an seine Pflichten und seinen Glauben zu erinnern? War dieser wundervolle Baum ein lebendiges Zeichen, so wie jene, die den Rittern in den Legenden auf der Suche nach dem heiligen Gral erschienen waren?
    Er hoffte, dass es sich nicht so verhielt. Seit dem Herbst hatte er keinen Anlass zu der Vermutung gehabt, dass die Männer aus dem Rat ihn weiter verdächtigten. Zweimal war er Gorges begegnet, und dieser hatte sich ihm gegenüber freundlich und herzlich verhalten. Albion wollte doch nur ein friedliches Leben führen. Wünschten sich das nicht die meisten Leute? Ein Baum, der mitten im Winter Blätter trug, war die Verheißung eines Lebens im Tode. Drei grüne Bäume, drei Kreuze: die Kreuzigung auf dem Kalvarienberg. Ganz gleich, wie man die Dinge auch betrachtete, falls es sich wirklich um Zeichen Gottes handelte, deuteten sie auf Tod und Opfer hin.
    Wenn sie nur von einer spanischen Invasion verschont blieben! Dann konnte seine Mutter ihm ihr Vermögen hinterlassen in dem Glauben, dass er im Fall des Falles zu den Gegnern übergelaufen wäre. Gorges, der Rat und auch die Königin selbst würden keinen Grund finden, ihm Vorwürfe zu machen. Er betete von ganzem Herzen darum, dass man ihn nicht auf die Probe stellen würde.
    Von seiner Mutter hatte er schon seit einer Weile nichts gehört. Eigentlich hätte er sie zu Weihnachten besuchen sollen, aber er hatte wie immer einen Grund gefunden, sich davor zu drücken. Er fragte sich, wie lange er ihr noch aus dem Weg gehen konnte.
    Und kurz darauf sah er sie.
    Sie saß hoch oben in den Ästen des grünen Baumes. Wie immer trug sie Schwarz, doch das Futter ihres Mantels war flammend rot. Dann flatterte sie damit, als wären es Flügel, und schwebte wie ein hungriger, zorniger Vogel von Ast zu Ast. Schließlich wandte sie den Kopf und blickte ihn an. Mein Gott, es sah aus, als wolle sie sich auf ihn stürzen.
    Albion schüttelte den Kopf und schalt sich einen Narren. Als er wieder in die Baumkrone hinaufspähte, war alles wie gewöhnlich. Doch seine Hände zitterten. Erschüttert wendete er sein Pferd und machte sich auf den Weg nach Lyndhurst.
     
     
    Im Winter über sich der junge Nick Pride in Geduld. Anfang April regnete es zwar in Strömen, doch dann breitete sich eine sanfte Wärme im New Forest aus. Die Welt wurde wieder grün, die Knospen platzten auf. Er wusste, dass die Zeit nun gekommen war. Jane erwartete seinen Heiratsantrag. Jetzt war er an der Reihe.
    Den ganzen April lang machte er ihr den Hof. Manchmal sahen sie sich ein oder zwei Tage nicht, doch wenn nichts dazwischenkam, trafen sie sich sonntags in der Kirche in Minstead. Sie stritten sich nie und fanden auch keinen Grund dafür. Schließlich war sie die vernünftige Jane Furzey und er der hübsche junge Nick Pride. Alles hatte seine Ordnung.
    Doch als der Zeitpunkt näher rückte, beschloss Nick Pride, sie noch ein wenig zappeln zu lassen – nur für ein oder zwei Tage, damit sie ihn auch richtig zu schätzen wusste. Also legte er sich einen Plan zurecht.
    Ende April rief Albion seine Miliz in Minstead zusammen. Natürlich war Nick Pride auch dabei, ebenso wie Janes Bruder und zwei weitere Männer aus Brook. Man wollte eine kleine Parade veranstalten, bei der alle, auch Jane und ihre Familie, zusehen würden. Deshalb beschloss Nick, sein Vorhaben am Abend zwei Tage vor der Parade in die Tat umzusetzen.
    Das Dorf Minstead lag am Abhang eines steilen Hügels, der in westlicher Richtung quer durch die Mitte des New Forest verlief. Die meisten der Hütten standen verstreut an der unteren Hälfte des Weges, der hinauf zum Gipfel führte. Wer diesen Weg nahm, dem bot sich unterwegs ein seltsamer Anblick.
    Die Stelle wurde Castle Malwood genannt, obgleich dort nie ein Schloss gestanden hatte. Es war nur einer der kleinen ringförmigen Erdwälle, wie die in Burley und Lymington, die zeigten, dass schon vor dem Einmarsch der Römer in der Eisenzeit dort Menschen gelebt hatten. Da es sich um den höchsten Punkt der Umgebung handelte und man von hier aus einen weiten Blick ins Gelände hatte, war Castle Malwood als

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