Der Wald der Könige
übers ganze Gesicht.
»Gott sei gedankt, Clement. Endlich. Der Allmächtige wird dich belohnen.«
Kurz darauf verließ Albion das Haus und ritt durch den Wald nach Lymington im Süden. Wenn er schon die ganze Nacht über fortbleiben musste, konnte er sie genauso gut unten am Strand verbringen. So würde er wenigstens rechtzeitig zur Stelle sein, falls sich etwas Wichtiges ereignete.
Seine Frau und seine Mutter blieben schweigend im Salon sitzen. Einige der Kerzen waren schon heruntergebrannt, und der Raum war in ein heimeliges Dämmerlicht getaucht.
Nach einer Weile gähnte Lady Albion. »Ich glaube, ich ruhe mich eine Weile aus«, sagte sie. »Weckst du mich, sobald es Neuigkeiten gibt?«
»Selbstverständlich.«
Lady Albion küsste ihre Schwiegertochter auf die Stirn und gähnte wieder. »Also gut«, meinte sie, nahm eine Kerze und verließ das Zimmer. Kurz darauf hörte Albions Frau, wie sie ihre Kammer betrat. Dann herrschte Schweigen. Nachdem sie eine Weile gewartet hatte, löschte sie alle Kerzen bis auf eine, begab sich rasch zu Bett und legte sich hin. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte ihre Schwiegermutter bis zum Tag des Jüngsten Gerichts schlafen können.
Sie selbst schlummerte tief und fest, als Lady Albion sich eine halbe Stunde später lautlos aus dem Haus stahl.
Don Diego erwachte in völliger Finsternis. Er sah sich verwirrt um, wusste nicht, wo er sich befand. Er betastete die Armlehnen des Sessels, erkannte die große Kajüte und erinnerte sich wieder. Erschrocken sprang er auf. Wie lange hatte er geschlafen? Er taumelte an Deck und rief nach seinen Männern.
Keine Antwort. Als er an die Reling stürzte und nach der Pinasse Ausschau hielt, war diese verschwunden. Er lief zur anderen Seite. Auch hier keine Pinasse. Er war allein. Don Diego blickte in die Dunkelheit. Nur wenige Sterne lugten zwischen den Wolken hervor, doch er konnte die Umgebung recht gut erkennen. Es waren keine Schiffe in Sicht. Er runzelte die Stirn. Wenn wirklich so viel Zeit vergangen war, hätte das Schiff doch längst gesunken sein müssen. Was war geschehen?
Hätte er die Seeleute besser gekannt, so hätte er auch die Antwort gewusst. Da die Männer keine Zeit verlieren wollten, hatten sie nur einen nachlässigen Versuch unternommen, das Schiff zu versenken. Dann waren sie mit den Pinassen zu verschiedenen Schiffen gerudert, und jeder hatte behauptet, Don Diego sei wohl mit dem anderen Boot mitgefahren. Das Schiff selbst schwamm zwar langsam weiter, doch da die Matrosen daran gedacht hatten, das Ruder einzustellen, hatte es sich nach Backbord gedreht. Die Engländer, die es aus der Ferne sahen, hielten es in der Dunkelheit für eines ihrer Schiffe. Nun trudelte das Schiff schon seit einigen Stunden langsam mit Kurs auf Nordost.
Als Don Diego geradeaus spähte, bemerkte er etwa drei Kilometer vor ihm in der Finsternis eine verschwommene, weiße Masse. Zuerst hielt er es für eine Wolke, doch nach einer Weile wurde ihm klar, dass dahinter eine dunkle Silhouette aufragte. Es waren weiße Klippen, die er nun deutlich erkennen konnte. Er blickte nach Backbord. Ja, vor seinen Augen erstreckte sich eine flache, dunkle Küste. Nun wusste er, wo er sich befand. Bei dem dunklen Umriss handelte es sich bestimmt um die Südküste von England. Und die weißen Klippen gehörten zur Insel Wight.
Er trieb auf das westliche Ende des Solent zu. Eine Weile starrte er erschrocken geradeaus. Doch sein Verstand arbeitete fieberhaft. Und dann nickte er langsam mit dem Kopf.
Er lachte laut auf.
Denn nun war ihm klar, welche Gelegenheit die göttliche Vorsehung ihm bot. Nie hätte er von einer solchen Chance auch nur zu träumen gewagt. Gott tat wirklich Wunder.
Er freute sich immer noch über sein großes Glück, als das Schiff auf eine Sandbank lief und mit einem Ruck stecken blieb.
Nick Pride hörte das Pferd sofort, doch er wandte den Blick nicht von dem Signalfeuer in der Ferne ab. Da draußen in der Dunkelheit leuchtete immer noch nur ein Lichtpunkt.
Nick stand allein auf dem Wall. Der Mann, der ihn ablösen würde, schlief in der Hütte. Seit Einbruch der Dämmerung, als Jane sich entfernt hatte, war er allein. Diese Nacht war besonders wichtig. Wenn die Spanier auf die Küste zusteuerten, würden gewiss alle drei Leuchtfeuer auf der Insel Wight angezündet werden. Seit Anbruch der Dunkelheit hatte er das Signal daher nicht mehr aus den Augen gelassen. Aber er hatte nicht verhindern können, dass seine
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