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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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gewaltige Mengen von Gold und Silber mit sich. Unter den gegebenen Umständen waren Pulver und Kugeln um einiges wichtiger. Doch wenn man das Schiff einfach sich selbst überließ, würde das Silber in die Hände der Engländer fallen, und diese Vorstellung gefiel Don Diego gar nicht. Es ist mein Auftrag, dachte er, und ich werde ihn zu Ende bringen.
    Die Lösung war ganz einfach. Er schickte die Hälfte der Besatzung von Bord. Der Rest genügte, um die Arbeiten zu erledigen. Außerdem befahl er, auf jeder Seite des Schiffes eine Pinasse bereitzuhalten.
    »Wir werden dieses Schiff zurückfallen lassen«, sagte er den Männern. »Aber wir müssen Acht geben, dass es dabei nicht zu einem Zusammenstoß kommt. Und dann versenken wir es.«
    Die Männer sahen ihn mürrisch an. Sie mussten diesem Adeligen gehorchen, der von der Seefahrt keine Ahnung hatte und der ihnen einfach vor die Nase gesetzt worden war. Aber sie taten es nur widerwillig.
    »Und was machen wir dann?«, fragte einer der Männer ein wenig trotzig.
    »Wir steigen in die Pinassen«, erwiderte Don Diego. »Wenn ihr kräftig rudert, holen wir die anderen zweifellos ein«, fügte er kühl hinzu.
    Die Nacht war dunkel, da Wolken den Mond verdeckten. Zentimeter um Zentimeter fiel das Schiff langsam hinter die Flotte zurück. Rechts und links ragten riesige, beleuchtete Schiffsrümpfe auf. Don Diego schätzte, dass es etwa eine halbe Stunde dauern würde, bis alle sie passiert hatten.
    Er ging zur großen Kapitänskajüte am Heck, wo er sich in einem Sessel niederließ. Trotz seiner Müdigkeit war er sehr mit sich zufrieden. Es war fast vollbracht. Er war zwar erschöpft, aber ein Lächeln spielte um seine Lippen. Kurz wurde er von Schläfrigkeit ergriffen, doch er schüttelte den Kopf, um sie zu verscheuchen. Er beschloss, bald wieder an Deck zu gehen. Don Diego sank das Kinn auf die Brust.
    Albion knirschte mit den Zähnen. Obwohl es mitten in der Nacht war, wollte seine Mutter einfach nicht zu Bett gehen.
    Der eichengetäfelte Salon war hell erleuchtet. Erst vor einer Stunde hatte sie frische Kerzen bringen lassen. Und nun erging sie sich wohl schon zum vierten Mal – er hatte das Zählen bereits vor einer Weile aufgegeben – in einer leidenschaftlichen Tirade.
    »Nun ist die Zeit gekommen, Clement. Es ist so weit. Sattle dein Pferd. Das Wild ist los. Versammle deine Männer.«
    »Es ist mitten in der Nacht, Mutter.«
    »Geh hinauf nach Malwood!«, rief sie aus. »Zünde das Signalfeuer an. Alarmiere die Bürgerwehr.«
    »Ich bitte dich doch nur darum, Mutter«, sagte er geduldig, »dass wir bis zum Morgengrauen warten. Dann wissen wir mehr.«
    »Wissen? Was sollen wir wissen?« Ihre Stimmgewalt hätte einem Prediger alle Ehre gemacht. »Haben wir es nicht selbst gesehen, Clement? Haben wir sie nicht mit eigenen Augen kommen sehen?«
    »Mag sein«, erwiderte er ausdruckslos.
    »Oh!« Verzweifelt rang sie die Hände. »Du bist schwach. Schwach. Ihr alle. Wenn ich doch nur ein Mann wäre.«
    Als Mann hätte man dich schon längst eingesperrt, dachte Albion.
    Die Armada war am späten Nachmittag gesichtet worden. Albion und seine Mutter hatten sich mit anderen adeligen Herren und Damen oben auf dem Hügel bei Lymington eingefunden, von wo aus man einen ausgezeichneten Blick über die Pennington Marsches und den Ärmelkanal hatte. Sobald die Schiffe in der Ferne erschienen waren, war seine Mutter in Begeisterung verfallen. Albion hatte ihr Pferd am Zügel packen und es beiseite führen müssen. »Nimm dich zusammen, Mutter«, hatte er eindringlich geflüstert. »Wenn du jetzt den Spaniern zujubelst, verdirbst du alles.«
    »Zusammennehmen. Ja. Ha, ha!«, hatte sie gerufen. Und dann hatte sie gezischt, und zwar so laut, dass man es sicher bis Hurst Castle hören konnte: »Du hast Recht. Wir müssen schlau sein.
    Wir werden sie überlisten. Gott schütze die Königin!«, schrie sie plötzlich, sodass die Herren und Damen sich erstaunt umdrehten. »Diese Ketzerin«, fügte sie leise, aber in bösem Ton, hinzu.
    Drei Stunden lang hatten sie angespannt zugesehen, wie die Armada nach Osten vorrückte. Da der Wind sich gelegt hatte, machte sie immer weniger Fahrt. Die englische Flotte, in ordentliche Schwadronen aufgeteilt, war dicht hinter ihr zu erkennen. Kurz darauf konnte man beobachten, wie einige kleine, schnelle Schiffe sich aus der Formation lösten und rasch auf die Einfahrt des Solent zuhielten. In weniger als einer Stunde hatten zwei von ihnen die Stelle

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