Der Wald der Könige
weiter zu verfolgen. Inzwischen war er mittleren Alters und wusste, dass sich ihm nie mehr im Leben eine solche Gelegenheit bieten würde. Also betrachtete er den Angriff auf England als eine einmalige Chance. Seiner wenn auch entfernten Verwandtschaft mit dem Herzog von Medina Sidonia hatte er den Posten auf dem Flaggschiff zu verdanken. Und nun riskierte dieser brave Familienvater, der eine gute Partie gemacht hatte und von seinen Kindern geliebt wurde, Kopf und Kragen, um endlich ein Kriegsheld zu werden und bloß nicht am heimischen Herd zu versauern.
Allerdings unterschied sich seine Rolle in dieser gewaltigen Unternehmung nicht von jener der übrigen Herren, die die Armada begleiteten. Auf jedem der Schiffe befanden sich wohlhabende Aristokraten, verarmte Adelige, Prinzen aus sämtlichen europäischen Königshäusern und uneheliche Söhne italienischer Herzöge, alle auf der Suche nach Anerkennung und Beute. Sogar ein leiblicher Sohn des frommen Königs von Spanien höchstselbst war darunter. Einige von ihnen waren erfahrene Kämpfer, andere wollten nur zusehen, und wieder andere wie Don Diego waren sich über ihre Beweggründe selbst nicht im Klaren. Schließlich handelte es sich um einen Kreuzzug. Doch heute Nacht war Don Diegos Stunde endlich gekommen.
Es lag in der Natur der Formation der Armada, dass die gewaltige Flotte nicht schneller vorankam als ihr langsamstes Schiff. Wenn eines der Schiffe getroffen wurde, mussten alle anderen ebenfalls anhalten, und sie segelten ohnehin schon recht gemächlich dahin. Deshalb wurden havarierte Schiffe mitleidlos zurückgelassen.
Das beschädigte Schiff war ein unbeholfener Koloss, das nur über wenige Kanonen verfügte und dem Transport von Truppen, Munition und Vorräten diente. Während des gestrigen Beschusses durch die Engländer war ein Mast getroffen und der Rumpf leckgeschlagen worden. Außerdem war der Kapitän ums Leben gekommen. Den ganzen Tag über hatte sich das Schiff mit der Flotte mitgeschleppt, doch am Abend wurde klar, dass es der Belastung nicht länger standhalten konnte. Der Herzog, der bereits überlegt hatte, welche Aufgabe er seinem unbedarften Verwandten übertragen konnte, ließ ihn zu sich rufen und bat ihn, sich um das Schiff zu kümmern.
Nun arbeitete Don Diego schon seit Stunden. Er hatte sich große Mühe gegeben und war wohl überlegt zu Werke gegangen. Zuerst hatte er die Soldaten auf andere Schiffe verteilt. Dann hatte er sich mit der wichtigen Munition befasst. Anders als die Engländer verfügten die spanischen Schiffe nicht über Nachschub. Alles Nötige musste mitgeführt werden. Und da sie jetzt bereits seit vier Tagen das englische Feuer erwiderten, ging einigen Schiffen allmählich das Pulver aus. Don Diego hatte alle verfügbaren kleineren Boote versammelt und mit Hilfe der Besatzung Fass um Fass abgeladen und auf die anderen Schiffe bringen lassen. Anschließend war er mit den Kanonenkugeln genauso verfahren, eine mühsame Plackerei, bei der ein halbes Dutzend Kugeln ins Wasser gefallen war. Eine hätte sogar fast den Boden eines Bootes durchschlagen. Bei Dämmerung schufteten sie immer noch, und die Mannschaft begann zu murren. Doch Don Diego gönnte ihnen keine Pause, und so war gegen elf Uhr alles erledigt.
Seit dem frühen Morgen war Don Diego nun auf den Beinen, ohne einen Mittagsschlaf gehalten zu haben, und ihm fielen vor Müdigkeit fast die Augen zu. Und obwohl sie das Schiff nun schon seit Stunden entluden, wurde es langsamer und langsamer. Der Herzog schickte eine Nachricht, in der er Diego für seine gute Arbeit dankte. Aber nun müsse man das Schiff zurücklassen. Die Mannschaft machte sich bereit, von Bord zu gehen.
Doch Don Diego zögerte. Er hatte noch etwas vor.
Denn bei der Überprüfung des Frachtraums war ihm etwas aufgefallen. Obwohl Pulver und Kugeln sämtlich von Bord geschafft waren, befanden sich dort noch einige andere Dinge. Er hörte, wie das Wasser gegen den Rumpf schlug, während das Schiff immer tiefer sank. Don Diego leuchtete mit der Laterne das Wasser ab und spähte hinunter, um festzustellen, wie weit das Schiff bereits voll gelaufen war. Und da sah er es, ein schwaches, silbriges Funkeln, und es fiel ihm wie Schuppen von den Augen.
Der gesamte Boden des Schiffes war mit Silberbarren ausgelegt, es waren Tausende, die ihm geheimnisvoll im Licht der Laterne aus dem Wasser entgegenleuchteten.
Natürlich hatte dieser Schatz für die Armada nur einen geringen Wert, denn die Flotte führte
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