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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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passiert und vor Hurst Castle Anker geworfen, während die anderen auf Southampton zuhielten. Bald sah man die Besatzung von Hurst Castle in mit Pulver und Kugeln beladenen Leichtern zu ihnen hinausfahren. Nachdem die beiden Schiffe alle Munition, die man entbehren konnte, an Bord genommen hatten, eilten sie wieder auf die Flotte zu. Von dort aus waren hin und wieder kleine Rauchwolken und Flammen zu sehen, nach einer Weile gefolgt von einem leisen Grollen, das an ein entferntes Gewitter erinnerte.
    Bis jetzt machte es nicht den Anschein, als hielte die spanische Armada auf die englische Küste zu. Wie winzige, gezackte Scherenschnitte zeichneten sich die Umrisse der Schiffe vom Horizont ab. Auf der Insel Wight hatte die Garnison das zweite und dritte Signalfeuer noch nicht angezündet. Doch auch als es dunkel wurde und in der Ferne nur noch gelegentliche Lichtblitze zu sehen waren, rückte Albions Mutter nicht von ihrer Meinung ab: »Sie werden kehrtmachen und sich im Schutze der Dunkelheit nähern, Clement«, versicherte sie ihm im Brustton der Überzeugung. »Morgen früh sind sie im Solent.« Und das wiederholte sie seitdem unablässig.
    Albion warf seiner Frau einen verschwörerischen Blick zu. Sie trug schon ihr Nachtgewand und hatte sich bettfertig gemacht. Das helle Haar, das nur einige silberne Strähnen aufwies, hing ihr offen über die Schultern. In ein Umhängetuch gewickelt, saß sie schweigend in einer Ecke. Albion wusste genau, was in ihr vorging. Sie wartete ab. Wenn es ihm gelang, seine Mutter zu bändigen, war alles schön und gut. Anderenfalls, so hatte sie ihn gewarnt, hätten die Dienstboten ihre Befehle. Und selbst er würde dann nicht wagen, einzuschreiten.
    »Wir verlieren unser Erbe«, protestierte er.
    »Aber wir bleiben am Leben. Wenn sie uns zwingen will, an einem Hochverrat mitzuwirken, werden wir sie einsperren.«
    Albion konnte ihr daraus keinen Vorwurf machen. Wahrscheinlich hatte sie Recht, doch der Gedanke, auf ein so großes Vermögen verzichten zu müssen, schmeckte ihm gar nicht. Und deshalb versuchte er immer noch – seinen Kindern zuliebe, wie er sich sagte –, mit seiner Mutter zu rechten und dadurch Zeit zu gewinnen. »Ich habe einen Diener nach Malwood geschickt, Mutter«, teilte er ihr nun schon zum dritten Mal mit. »Wenn die Signalfeuer angezündet werden und die Spanier kommen, wird man es mir melden.«
    »Ach, die Signalfeuer«, wiederholte sie verächtlich.
    »Sie erfüllen ihren Zweck ausgezeichnet, Mutter«, entgegnete er mit Nachdruck. »Was erwartest du von mir? Dass ich mit meinen Männern zur Küste marschiere, um die Kanonen von Hurst Castle zum Schweigen zu bringen?« Er bereute diesen Satz, bevor er ihn beendet hatte.
    Ihre Miene erhellte sich. »Ja, Clement. Ja. Das musst du tun, ich flehe dich an. Halte dich wenigstens bereit, rasch zuzuschlagen. Warum zögerst du? Geh gleich los.«
    Nachdenklich blickte Albion in die brennenden Kerzen. Würde sie endlich Ruhe geben, wenn er sich auf den Weg machte? Gleichzeitig jedoch fiel ihm etwas anderes ein. Er war ziemlich sicher, dass die Armada nicht den westlichen Solent ansteuerte. Dazu war sie noch viel zu weit vom Ufer entfernt. Doch was war, wenn sie, vorbei an der Insel Wight, nach Portsmouth segelte? Oder auf einen anderen beliebigen Hafen an der Südküste zuhielt? Man durfte Parma nicht vergessen. Was war mit seiner großen Armee in den Niederlanden? Womöglich landete sie jetzt in diesem Augenblick an der Themse. Auch wenn seine Mutter gefährlich oder übergeschnappt war, musste sie sich nicht zwangsläufig irren. Das genau war die Frage, die er nie mit seiner Frau besprochen hatte: Wenn die Spanier landeten, konnten sie gewinnen. Und wenn sie gewannen, warum sollte er dann nicht auf ihrer Seite stehen? In jener Nacht war er gewiss nicht der einzige Engländer, der sich mit solchen Gedanken trug.
    Und sicher, so überlegte er, war es nicht eben klug von ihm, sich seine Mutter zur Feindin zu machen.
    »Nun, Mutter, vielleicht hast du ja Recht.« Er wandte sich an seine Frau. »Du und Mutter, ihr bleibt hier und sagt niemandem, dass ich fort bin. Ich kenne einige aufrechte Männer, denen ich vertrauen kann.« Diese Behauptung war natürlich eine reine Erfindung. »Ich werde sie nun zusammenrufen und mit ihnen zur Küste marschieren. Wenn die Spanier Anstalten machen zu landen…«
    In Wahrheit hatte er nicht die geringste Ahnung, wie er sich in einem solchen Fall verhalten sollte, doch seine Mutter strahlte

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