Der Wald der Könige
Gedanken abgeschweift waren.
Was war bloß mit Jane los? An drei aufeinander folgenden Tagen hatte sie ihm jeweils nur kurz Gesellschaft geleistet, niemals länger an seiner Seite bleiben wollen. Und jedes Mal hatte sie sich seltsam verhalten. Einmal schien sie geistesabwesend und ausweichend, dann wieder hatte sie ihn aus heiterem Himmel getadelt und wirkte grundlos gereizt. Und beim dritten Mal war sie guter Laune gewesen und hatte ihn mütterlich auf die Stirn geküsst, als wäre er ein kleines Kind. Als sie ihm heute Abend eröffnet hatte, dass sie gehen müsse, hatte er sie zweifelnd angesehen und gefragt, was geschehen sei. Daraufhin hatte sie auf die Armada am Horizont gewiesen und erwidert: »Reicht das nicht als Grund zur Sorge, Nick? Was soll aus uns allen werden?« Mit diesen Worten war sie einfach verschwunden.
Auch wenn der Anblick der Armada jeden Engländer in Aufregung versetzen musste, kam ihm Janes Verhalten immer merkwürdiger vor, je länger er darüber nachdachte.
Das Schnauben des Pferdes sagte ihm, dass der Reiter den Wall fast erreicht hatte. Nick hatte nicht mit Albion gerechnet, doch sein Befehlshaber hatte nun einmal die Angewohnheit, selbst um diese Zeit nach dem Rechten zu sehen. Er wartete auf den üblichen Gruß.
»Hallo, Bursche. Wächter.«
Eine Frauenstimme. Was zum Teufel hatte das zu bedeuten?
Plötzlich hatte er vergessen, was er auf eine derartige Anrede zu erwidern hatte, und fragte stattdessen wie ein Bauernjunge: »Wer ist denn da?«
Eine Pause entstand. Dann rief die Frau mit befehlsgewohnter Stimme: »Zündet Euer Signalfeuer an, Bursche. Ruft die Miliz zusammen.«
Das war zu viel.
»Das Signalfeuer wird nur angezündet, wenn auf der Insel drei aufflammen. Oder wenigstens zwei. So lauten meine Befehle von Hauptmann Albion.«
»Aber ich komme von Albion, mein guter Mann. Er bittet Euch, das Feuer anzuzünden.«
»Und wer seid Ihr?«
»Ich bin Lady Albion. Er hat mich geschickt.«
»Das behauptet Ihr. Ich zünde das Feuer nur an, wenn ich zwei von drüben sehe«, erwiderte Nick mit Nachdruck. »Und damit Schluss!«
»Muss ich Euch zwingen?«
»Ihr könnt es ja versuchen.« Er zog sein Schwert.
»Die Spanier kommen, Narr.«
Für einen Augenblick zögerte Nick. Dann hatte er einen Geistesblitz. »Nennt mir zuerst das Losungswort.«
Wieder herrschte Schweigen. »Er hat es mir gesagt, der gute Junge, aber ich habe es leider vergessen.«
»Er hat es Euch gesagt?«
»Ja, bei meinem Leben.«
»Lautete es vielleicht« – er überlegte – »Rufuseiche?«
»Ja. Ja, ich glaube, das war es.«
»Dann will ich Euch mal etwas verraten.«
»Was?«
»Es gibt kein Losungswort. Und nun fort mit Euch, lästiges Frauenzimmer.«
»Dafür sollt Ihr mir büßen.« Nick hörte in der Dunkelheit, dass ihre Stimme nicht nur zornig, sondern auch enttäuscht klang.
»Fort mit Euch, habe ich gesagt.« Er lachte auf. Und kurz darauf war die seltsame Reiterin wieder in der Finsternis verschwunden. Er fragte sich, wer sie wohl gewesen sein mochte. Wenigstens hatte sie ihn von seinen Grübeleien abgelenkt. Er blickte wieder zu dem einsamen Licht in der Ferne hinüber.
Lady Albion ritt nach Süden. Notfalls würde sie selbst das Kommando über die Kanonen von Hurst Castle übernehmen.
Die Nacht war schon ziemlich weit fortgeschritten, als Albion die Hochebene bei Lymington erreichte. Die Sterne wurden noch immer von Wolken verdeckt. Als er, vorbei an den fahlen Kreidefelsen der Insel Wight und den Nadeln, aufs Meer hinausspähte, konnte er im Dunst nichts erkennen. Ganz gleich, wo die Armada auch stecken mochte, sie näherte sich eindeutig nicht der Küste. Wahrscheinlich hatte sie sich hinter der Insel Wight versteckt. Er überlegte, bei Morgengrauen ein paar Kilometer die Küste entlang nach Westen zu reiten, um festzustellen, ob er die Flotte hinter der Insel entdecken konnte. Nun stieg er vom Pferd und setzte sich auf den Boden.
Er saß schon eine ganze Weile da, als er draußen auf dem Wasser etwas Dunkles bemerkte. Zuerst hielt er es für Einbildung. Aber nein, es war wirklich da: Ein Schiff näherte sich. Albion erhob sich, das Herz klopfte ihm plötzlich bis zum Halse. War es möglich, dass sich die Armada unbemerkt durch die feindlichen Linien geschlichen hatte? Vielleicht hatte man auch im Schutze der Dunkelheit eine Schwadron losgeschickt, um den Solent zu erobern. Er schwang sich in den Sattel. Er musste Hurst Castle warnen.
Dann jedoch hielt er inne. Musste
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