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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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auch das Gewissen, dachte er verärgert. Er wusste, dass es feige gewesen wäre, sich vor dieser Aufgabe zu drücken. Das hätte er sich selbst nie verziehen.
    Ehrgeiz und Gewissen also.
    Nun verließen der König und seine Bewacher den Strand und waren bald nicht mehr zu sehen. Zögernd machte John Lisle kehrt und ritt nach Hause. Er und Alice hatten in den letzten zehn Jahren verschiedene Häuser bewohnt, in London, in Winchester und auf der Insel Wight, wo er damit beschäftigt gewesen war, sein eigenes Gut in Stand zu halten. Auch Moyles Court im Avontal und Haus Albion, das von Alice bevorzugt wurde, hatten ihnen als Zuhause gedient. Jetzt, kurz vor Weihnachten, wohnten sie in Haus Albion.
    Was würde sie bei seiner Rückkehr sagen?
    Er hatte gedacht, dass sie noch schlafen würde, doch sie erwartete ihn an der offenen Tür. Zum Glück hatte sie sich wenigstens einen Mantel über das Nachthemd gezogen, denn es war bitterkalt. Stand sie schon dort, seit er fortgeritten war? Er wurde von Schuldgefühlen ergriffen. Er liebte sie doch so sehr. Ihre Augen waren gerötet. Er stieg vom Pferd und ging auf sie zu. »Ich bleibe bis nach Weihnachten«, sagte er. »Dann denken wir noch einmal darüber nach.« Er redete sich ein, dass auch der letzte Satz der Wahrheit entsprach, obwohl er sich schon längst entschieden hatte.
    »Ist der König fort?«
    »Ja, er ist unterwegs.«
    Sie nickte traurig. »John«, meinte sie plötzlich, »du musst tun, was Gott dir befiehlt. Wir, die Kinder und ich, halten zu dir. Erfülle deine Pflicht. Ich bin deine Frau.«
    Und eine wunderbare Frau obendrein, dachte er. Er legte den Arm um sie und ging mit ihr ins Haus, eine neue Freude im Herzen.

1655
     
    Thomas Penruddock würde nie seine erste Begegnung mit Alice Lisle vergessen. Das war vor zwei Jahren gewesen, er war zehn.
    Schon frühmorgens waren sie aus Compton Chamberlayne aufgebrochen. Das Dorf und der Herrensitz Compton Chamberlayne lagen im Tal des Flusses Nadder, etwa zehn Kilometer westlich von Sarum. Die Reise in die alte Kathedralenstadt war angenehm und nicht beschwerlich. Nach einer Rast und einem kurzen Besuch in der Kathedrale mit ihrem hoch emporragenden Turm hatten sie sich wieder auf den Weg nach Süden gemacht. Sie waren dem Lauf des Avon gefolgt, hatten Longford, das riesige Landgut der Familie Gorges, passiert und bei dem Dorf Downtown den Fluss überquert. Schließlich erreichten sie die bewaldete Hochebene am nördlichsten Rand des gewaltigen New Forest.
    Dort befand sich das Dorf Hale. Vom Herrensitz aus, der am Rande eines Abhangs gelegen war, bot sich im Westen eine malerische Aussicht auf das Avontal. Vor zwei Generationen hatten die Penruddocks den Herrensitz für einen jüngeren Sohn erworben. Die Penruddocks aus Hale und ihre Vettern waren stets auf freundschaftlichem Fuß miteinander gestanden. Und diesmal hatten die Eltern ihren ältesten Sohn Thomas mitgenommen, um ein paar Tage in Hale zu verbringen.
    Dort war Thomas noch nie zuvor gewesen. Die Verwandten hießen sie herzlich willkommen, und die Kinder schlossen Thomas sofort in ihr Spiel ein.
    Der erste Abend wurde nur dadurch getrübt, dass eine ältliche Tante ihn eindringlich musterte und dann ausrief: »Gütiger Himmel, John. Der Junge ist seiner Großmutter Anne Martell wie aus dem Gesicht geschnitten!«
    Sein dunkles Haar, das hübsche Gesicht und die grüblerische Art hatte Thomas von der Familie seiner Mutter geerbt, den Martells, die in Dorset lebten. Auch die Penruddocks waren eine gut aussehende Familie. Besonders der Vater, den Thomas vergötterte, galt als stattlicher Mann. Und es machte den Jungen stets traurig, dass er ihm so gar nicht ähnelte. Doch seine düstere Miene erhellte sich, als die Tante fortfuhr: »Ich hoffe, du bist stolz auf ihn.«
    »Ja, das will ich meinen«, erwiderte sein Vater.
    Oberst John Penruddock war für Thomas das Sinnbild der Vollkommenheit. War er nicht einer der verwegensten und mutigsten Befehlshaber der Royalisten gewesen? Einen Bruder hatte er im Krieg verloren, ein Vetter war verschleppt worden. Außerdem hatte Oberst Penruddock teuer für seine ritterliche Treue zum König bezahlt und viel Geld und seine Ämter verloren, als Cromwell und seine Spießgesellen triumphierten. Doch Thomas hätte lieber auf sämtliche Ländereien verzichtet, als einen weniger ruhmreichen Helden zum Vater zu haben.
    Am nächsten Morgen durfte er zu seiner Freude mit den Männern ausreiten.
    »Ich glaube«, sagte der Gastgeber,

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