Der Wald der Könige
und war so mit sich zufrieden wie ein Junge, der einen Streich ausheckt. Doch wenn er ertappt wurde, musste er mit schrecklichen Folgen rechnen: dem Verlust eines Körpergliedes oder sogar seines Lebens. Aber er war sicher, dass ihn niemand erwischen würde, und kicherte in sich hinein. Schließlich hatte er sich alles reiflich überlegt.
Gegen die Mittagszeit hatte er seinen Beobachtungsposten bezogen. Diesen hatte er sich sorgfältig ausgesucht, eine kleine Bodensenke am Rande eines Waldstücks, wo er sich gut verstecken und nach möglichen Widersachern Ausschau halten konnte. Außerdem hatte er die Gewohnheiten seiner Beute gründlich studiert.
Wie erwartet, tauchten die Tiere kurz nach der Mittagszeit auf, und dank der geänderten Windrichtung konnten sie ihn nicht wittern.
Reglos lag Godwin Pride da. Über eine Stunde lang verharrte er geduldig. Wie er erwartet hatte, erschien in einiger Entfernung einer von Colas Männern, der sein Pferd am Zügel führte und über eine Lichtung schlich. Pride wartete noch eine Stunde. Es ließ sich niemand mehr blicken.
Sein Ziel hatte er sich bereits ausgesucht. Er brauchte eine kleine Hirschkuh – eine, die er sich rasch über die breiten Schultern werfen und in ein Versteck schaffen konnte. Nachts wollte er mit einem Handkarren wiederkommen, um sie zu holen. Der Mond würde hell genug sein, sodass er sich nicht im dunklen Wald verirrte. Zu dem Rudel gehörten einige kleine Hirschkühe. Eine davon war ein Weißling. Er legte an.
In den ersten Tagen konnte Adela es kaum fassen, dass Walter ihr das wirklich angetan hatte.
Die Dörfer Fordingbridge und Ringwood am westlichen Ufer des Avons waren kaum mehr als Weiler. Doch bei der Siedlung am Südrand des Flusses handelte es sich um eine größere Ortschaft. Hier mündete ein anderer Fluss aus dem Westen in den Avon und bildete mit ihm zusammen einen großen, geschützten Hafen. Seit mehr als tausend Jahren fischten die Menschen dort und trieben Handel. Die Angelsachsen hatten das Dorf einst Twyneham genannt. Von hier aus erstreckten sich gewaltige Wiesen, Moore, Wälder und Heiden kilometerweit am südwestlichen Rand des New Forest entlang. Früher hatten sie zu einem königlichen Gut gehört. Dank einer Reihe bescheidener religiöser Stiftungen der Sachsenkönige hieß die Gegend jetzt Christchurch: eine kleine Stadt, umgeben von einer Stadtmauer. Vor fünf Jahren hatte Christchurch einen weiteren Aufschwung genommen, denn der Kanzler des Königs hatte beschlossen, dort eine neue, noch größere Klosterkirche bauen zu lassen. Die Arbeiten am Flussufer hatten bereits begonnen.
Doch mehr hatte das Städtchen eigentlich nicht zu bieten. Es war nichts weiter als eine ruhige, kleine Ortschaft am Meer mit einer Kirchenbaustelle.
Ausgerechnet hier hatte Walter sie zurückgelassen. Und das nicht etwa bei einem Ritter, denn in Christchurch gab es kein Schloss, nein, nicht einmal einen Herrensitz und überhaupt keine Menschen von Rang und Namen. Walter hatte sie bei einem gewöhnlichen Kaufmann einquartiert, dessen Sohn die Klostermühle betrieb.
»Ich musste ihn dafür bezahlen«, hatte Walter gereizt erklärt.
»Und wie lange soll ich dort bleiben?«, hatte Adela entgeistert ausgerufen.
»Bis ich dich abhole. Wahrscheinlich ein oder zwei Monate.«
Und mit diesen Worten war er einfach fortgeritten.
Ihre Unterbringung hätte schlechter sein können. Der Haushalt des Kaufmanns bestand aus einigen Holzgebäuden, die rings um einen kleinen Hof angeordnet waren. Man teilte ihr ein eigenes Zimmer über einem Lagerraum zu, neben dem sich der Stall befand. Das Zimmer war sauber, und Adela musste zugeben, dass sie es in einem Herrensitz auch nicht bequemer gehabt hätte.
Ihr Gastgeber, ein recht umgänglicher Mensch, hieß Nicholas von Totton und stammte aus einem Dorf gleichen Namens, etwa fünfundzwanzig Kilometer entfernt am östlichen Rand des New Forest. Er war ein freier Bürger der Stadt und besaß drei Häuser, einige Felder, einen Obstgarten und eine Lachsfischerei. Er war älter als fünfzig Jahre, wirkte jedoch mit seiner schlanken Gestalt fast jugendlich. Sein milder Blick aus grauen Augen verfinsterte sich nur, wenn jemand in seiner Gegenwart Böswilligkeiten äußerte oder prahlte. Er sprach wenig, doch Adela stellte fest, dass er gern mit seinen jüngeren Kindern – sieben oder acht an der Zahl – spielte und scherzte. Es musste entsetzlich langweilig sein, mit einem solchen Mann verheiratet zu sein. Doch
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