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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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seine tüchtige Ehefrau schien ganz und gar zufrieden.
    Sie wusste nicht, mit wem sie reden oder was sie mit ihrer Zeit anfangen sollte. An dem malerischen Flussufer, wo die neue Kirche entstehen sollte, herrschte noch heilloses Durcheinander. Die alte Kirche hatte man abgerissen, und es hieß, dass sich hier bald Dutzende von Maurern an die Arbeit machen würden. Im Augenblick jedoch lag alles verlassen da.
    Eines Tages ritt Adela auf die Landzunge hinaus, die den Hafen schützte. Schwäne glitten über das Wasser, und auf den Wiesen grasten Pferde. Jenseits der Landzunge erstreckte sich eine riesige Bucht gen Westen. Im Osten endete die kilometerlange, felsige Küste des New Forest am Solent, aus dem die Insel Wight hervorragte. Aber auch dieser wunderschöne Anblick und die friedliche Stimmung konnten Adela nicht aufheitern. An anderen Tagen ging sie spazieren oder saß am Flussufer. Es gab nichts zu tun. Überhaupt nichts. So verstrich eine Woche.
    Und dann erschien Edgar. Adela war überrascht, dass er von ihrer Verbannung wusste.
    »Walter hat meinem Vater erzählt, dass Ihr hier seid«, meinte er. Er verschwieg ihr, dass die Menschen im Avontal bis hinunter nach Fordingbridge sie bereits »die verlassene Lady« nannten.
    Bald besserte sich Adelas Lage ein wenig. Edgar pflegte sie mindestens einmal wöchentlich zu besuchen, und dann ritten sie zusammen aus. Ihr erster Ausflug führte sie ein paar Kilometer das Avontal hinauf, wo man von einer kleinen Anhöhe namens St. Catharine’s Hill eine prachtvolle Aussicht über das Tal und den südlichen Teil des New Forest genießen konnte.
    »Fast hätte man die neue Abtei hier gebaut«, berichtete er ihr. »Bei meinem nächsten Besuch reiten wir zusammen hin.« Er wies auf den New Forest. »Und beim übernächsten dahin. Und dann dort hinüber.«
    Edgar hielt Wort. Manchmal ritten sie in den New Forest oder schlenderten an der südlichen Küste mit ihren unzähligen Buchten entlang bis zum Dorf Hordle, wo es Salzvorkommen gab. Bei seinem dritten Besuch hatten sie sich unweit von Ringwood verabredet. Er zeigte ihr einen kleinen Weiler in einem Wäldchen jenseits der Heide, der Burley hieß.
    »Dieser Ort hat etwas Seltsames an sich«, sagte sie.
    »Es heißt, in dieser Gegend gäbe es Hexen«, erwiderte er. »Doch das behaupten die Leute immer von Wäldern.«
    »Kennt Ihr etwa Hexen?«, fragte sie lachend.
    »Man sagt, Puckles Frau sei eine Art Hexe«, entgegnete er. Sie warf ihm einen Blick zu, um festzustellen, ob er scherzte, aber offenbar meinte er es ernst. Dann grinste er.
    »Im New Forest gilt eine Grundregel. Wenn man Zweifel hat, soll man besser nicht nachfragen.« Mit diesen Worten ließ er sein Pferd traben.
    Oft erkundigte er sich bei diesen Ausritten nach ihrem Leben und wollte wissen, ob sie vorhabe, in England zu bleiben, und was für einen Ehemann sie sich von Walters Bemühungen erhoffte. Adela antwortete sehr vorsichtig und zurückhaltend auf diese Fragen, ließ sich jedoch einmal vom Hochmut hinreißen, als sie gestand: »Hauptsächlich wünsche ich mir deshalb einen normannischen Ritter, weil ich selbst Normannin bin.« Beim Anblick seiner bedrückten Miene stieg Mitleid in ihr auf, aber sie konnte weder ihren Rang noch ihre Herkunft leugnen.
     
     
    Zwei Monate waren vergangen, und immer noch keine Nachricht von Walter.
    Die vielen Ausflüge mit Edgar hatten ihr Selbstbewusstsein so weit gestärkt, dass sie sich eines Hochsommertags allein weit in den Wald vorwagte. Tagträumend ritt sie mitten durch den Tann, während ihr Pferd langsam ausschritt und sich selbst seinen Weg auf den Pfaden suchte. Schließlich stieg Adela ab und ruhte sich in einer kleinen Lichtung aus, während das Pferd sich am Gras gütlich tat. Das Geräusch eines Hirschrudels, das irgendwo vor ihr durch das Unterholz stürmte, riss sie aus ihren Träumereien. Neugierig geworden, stieg sie rasch aufs Pferd und ritt los, um festzustellen, was die Tiere aufgescheucht hatte. Als sie plötzlich eine unbewaldete Stelle erreichte, bemerkte sie eine Gestalt, die sie zu erkennen glaubte. Ohne nachzudenken, galoppierte sie auf den Mann zu. Er wandte sich um, und Adela sah sofort, was er im Schilde führte. Es war zu spät, einfach kehrtzumachen.
    »Guten Tag, Godwin Pride«, sagte sie.
    Pride starrte sie entgeistert an, den Mund in ungläubigem Staunen weit geöffnet. Ihm fehlten die Worte, was bei ihm selten geschah. Er konnte es nicht fassen. Warum hatte er sie nicht kommen hören?

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