Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
Vom Netzwerk:
den persönlich er eigentlich nichts hatte, aber der angelsächsische Adelige stand offenbar auf Seiten der Normannen, und das war Grund genug, ihn abzulehnen.
    Colas Familie war nicht fremd in diesem Gebiet. Wann war sie in den New Forest gekommen? Vor zweihundert oder dreihundert Jahren vielleicht? Die Waldbewohner erinnerten sich nicht genau. Aber ganz gleich, wie viele Generationen sie nun schon hier lebten, es war nicht lange genug. Und Pride hielt sich gerade diesen Tatbestand vor Augen, als zu seinem Erstaunen das normannische Mädchen das Wort ergriff.
    »Aber das Gesetz stammt nicht von den Normannen. Es gilt schon seit den Tagen von König Canute.«
    Adelas Angelsächsisch war gut genug, um das Gespräch grob verfolgen zu können. Ihr gefiel das mürrische Verhalten dieses Mannes gegenüber ihrem Begleiter nicht, und deshalb hatte sie als normannische Adelige beschlossen, ihn in seine Schranken zu weisen. Auch wenn Wilhelm der Eroberer recht grausam sein konnte, er war schlau genug gewesen, sich in seinem störrischen neuen Königreich abzusichern, indem er vorgab, sich stets an die alten Sitten zu halten. Deshalb konnte sich dieser Bauer seine Beschwerden sparen. Sie sah ihn trotzig an.
    Zu ihrer Überraschung nickte er nur mit finsterer Miene. »Und das glaubt Ihr wirklich?«
    »Es gibt eine Urkunde, Bursche«, entgegnete sie mit Nachdruck.
    »Ach, es ist aufgeschrieben?«
    Wie konnte dieser Mann es wagen, sie in einem derart spöttischen Ton anzusprechen? »Ja, das ist es.« Adela war stolz darauf, dass sie recht gut lesen konnte und über ein wenig Bildung verfügte. Wenn ein Schreiber mit ihr eine Urkunde durchgegangen wäre, hätte sie seine Ausführungen durchaus verstanden.
    »Ich kann nicht lesen«, meinte Pride mit einem unverschämten Grinsen. »Es würde mir hier auch nichts nützen.« Damit hatte er natürlich Recht. Ein Mann konnte Waffen tragen, eine Mühle betreiben, ein großes Gut leiten und, ja, sogar König werden, ohne dass er dazu des Lesens und Schreibens mächtig sein musste. Schließlich gab es jede Menge arme Schreiber, die ihm die Bücher führten. Der kluge Bauer sah demzufolge keine Notwendigkeit, diese Kunst zu erlernen. Doch Pride war noch nicht fertig. »Aber ich glaube, es gibt eine Menge Diebe, die es können«, fügte er gelassen hinzu.
    Meiner Treu, dieser Mann beleidigte sie! Sie sah Edgar Hilfe suchend an, doch ihm war das Ganze offenbar nur peinlich.
    Nun richtete Pride das Wort an ihn. »Ich kann mich nicht erinnern, von einer Urkunde gehört zu haben, Ihr etwa, Edgar?«
    »Das war vor meiner Zeit«, erwiderte der Angelsachse ruhig.
    »Ja. Ihr solltet besser Euren Vater fragen. Er müsste es wissen, denke ich.«
    Eine Weile sprach niemand ein Wort.
    Langsam ging Adela ein Licht auf. »Willst du damit sagen«, meinte sie gedehnt, »dass König Wilhelm, was König Canutes Waldgesetz angeht, gelogen hat? Dass die Urkunde eine Fälschung ist?«
    Pride spiegelte Erstaunen vor. »Wirklich? Das wäre doch durchaus möglich, oder?«
    Adela schwieg. Dann nickte sie langsam. »Es tut mir Leid«, sagte sie schlicht. »Ich wusste es nicht.« Sie wandte den Blick von ihm ab und betrachtete den kleinen Streifen Land, den er sich gerade angeeignet hatte. Nun verstand sie ihn. Kein Wunder, dass er verärgert war, weil man ihn ertappt hatte, wie er sich – rechtmäßigerweise oder nicht – ein Stück des Erbes zurücknahm, das ihm seiner Ansicht nach zustand.
    Sie sah Edgar an und lächelte. »Ich sage kein Wort, wenn Ihr es auch nicht tut«, meinte sie auf Französisch. Aber sie vermutete, dass Pride, der sie aufmerksam beobachtete, den Sinn ihrer Worte erraten hatte.
    Edgar wirkte verlegen. Pride musterte ihn. Dann schüttelte der junge Angelsachse den Kopf. »Ich kann nicht«, murmelte er auf Französisch. Er wandte sich an Pride und sagte in seiner Muttersprache: »Schieb den Zaun zurück, Godwin! Heute noch. Ich werde ein Auge auf dich haben.« Er gab Adela ein Zeichen, loszureiten.
    Sie hätte sich gern noch von Pride verabschiedet, wusste aber, dass das nicht angebracht war. Ein paar Minuten später, als der Bauer und seine Familie außer Sichtweite waren, meinte sie: »Ich will nicht zurück nach Lyndhurst, Edgar. Ich ertrage es nicht, all den Jägern gegenüberzutreten. Können wir nicht zum Hause Eures Vaters reiten?«
    »Es gibt einen kaum benutzten Pfad«, entgegnete er mit einem Nicken. Ein paar Kilometer weiter ritt er durch den Wald voran zu einer kleinen Furt. Kurz

Weitere Kostenlose Bücher