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Der Wald der Könige

Der Wald der Könige

Titel: Der Wald der Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward Rutherfurd
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Kuckuck, und ein Artgenosse antwortete aus dem Wald. So beanspruchte ein jeder sein kleines Königreich für sich, denn es war Frühling, und bald würde die Paarungszeit beginnen.
    Über der Heide stieg die Lerche höher und höher, sang immer weiter und übertönte alle anderen Vögel; sie hatte die aufgehende Sonne gesehen.
     
     
    Pferde schnaubten. Männer traten von einem Fuß auf den anderen. Die Hunde hechelten ungeduldig. Der Hof roch nach Pferdemist und dem Rauch von Holzfeuern.
    Gleich sollte die Jagd beginnen.
    Adela de la Rôche beobachtete die Männer. Ein Dutzend hatte sich bereits versammelt. Die Jäger in grünen Wämsern und mit Federn am Hut, einige Ritter und Gutsbesitzer aus der Umgebung. Adela hatte gebettelt und gedrängt, sie begleiten zu dürfen. Widerstrebend hatte Walter, ihr Vetter, zugestimmt, allerdings erst, nachdem sie ihn an seinen Auftrag erinnert hatte: »Ich muss mich schließlich sehen lassen. Oder hast du vergessen, dass du mich unter die Haube bringen sollst?«
    Das war bei einer jungen Frau in ihrer Lage kein leichtes Unterfangen. Erst ein Jahr war seit jenem kalten, düsteren Tag vergangen, an dem ihr Vater gestorben war. Ihre Mutter – bleich und plötzlich der Askese zugetan – war in ein Kloster eingetreten. »So bewahre ich meine Würde«, hatte sie Adela verkündet und ihre Tochter Verwandten anvertraut. Nun bestand ihre Mitgift nur noch aus ihrem guten Namen und ein paar kläglichen Hektar Land in der Normandie. Doch ihre Verwandten hatten ihr Möglichstes getan. Nach einer Weile hatten sie beschlossen, Adela nach England zu bringen, wo sich seit der Eroberung durch Herzog Wilhelm viele Söhne normannischer Adelsfamilien niedergelassen hatten. Und diesen würde eine hochgeborene Landsmännin als Ehefrau vielleicht nicht ungelegen kommen. »Von all unseren Verwandten«, so sagte man Adela, »wird dir dein Vetter Walter Tyrrell am besten weiterhelfen können.
    Schließlich hat er selbst eine ausgezeichnete Partie gemacht.« Walter hatte in die mächtige Familie Clare eingeheiratet, die in England riesige Ländereien besaß. »Walter wird einen Gatten für dich finden.« Doch bis jetzt war ihm das noch nicht geglückt. Außerdem traute Adela ihm nicht ganz über den Weg.
    Der Hof sah aus wie der aller anderen angelsächsischen Herrschaftshäuser in dieser Gegend. Derbe, mit Stroh gedeckte Blockhütten, die Scheunen ähnelten, umgaben ihn von drei Seiten. Die Wände bestanden aus dicken, dunklen Holzbohlen. In der Mitte befand sich die große Halle, die über eine kunstvoll geschnitzte Tür und eine Außentreppe verfügte, über die man das obere Stockwerk erreichte. Das Anwesen stand unweit der klaren und stillen Wasser des Avon, der an den Kreidefelsen bei dem Schloss Sarum, etwa fünfundzwanzig Kilometer im Norden, entsprang. Ein paar Kilometer flussaufwärts lag das Städtchen Ringwood, und fünfzehn Kilometer weiter mündete der Avon in einen flachen, geschützten Hafen und floss von dort aus ins offene Meer.
    »Sie kommen!«, riefen die Männer, als eine Bewegung an der Tür der Halle auf das Eintreffen der Anführer dieser Jagdpartie hinwies. Zuerst erschien Walter mit fröhlicher Miene, gefolgt von einem Gutsbesitzer und dem Mann, auf den alle gewartet hatten: Cola.
    Cola, der Jäger, Grundherr und Verwalter des New Forest. Obwohl sein Haupthaar und sein langer, herabhängender Schnurrbart inzwischen ergraut waren, bot er einen beeindruckenden Anblick. Hoch gewachsen, breitschultrig und kräftig. Auch wenn ihm mittlerweile die Geschmeidigkeit der Jugend fehlte, schritt er mit der Anmut eines alten Löwen aus. Ein angelsächsischer Edelmann vom Scheitel bis zur Sohle. Obwohl seine Kräfte allmählich zu erlahmen schienen, war Adela sicher, dass er sich mit einem finsteren Blick aus seinen Augen noch immer Respekt verschaffen konnte.
    Allerdings galt ihre Aufmerksamkeit weniger Cola als seinen beiden Söhnen, die hinter ihm aus dem Haus traten. Sie waren ein wenig über zwanzig, Adela schätzte den Altersunterschied zwischen den beiden auf drei oder vier Jahre. Groß und stattlich, mit langem, blonden Haar, gestutzten Bärten und leuchtend blauen Augen – gewiss hatte ihr Vater in seiner Jugend ebenso ausgesehen. Sie schritten leichtfüßig und kräftig aus, und Adela war beim Anblick ihrer edlen Haltung insgeheim froh, dass wenigstens diese Angelsachsen ihr Gut hatten behalten können. Allzu viele englische Adelige hatten ihren Besitz an Adelas Landsleute

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