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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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sind hervorragende Strategen, wenn es gilt, sich selbst zu schützen.
    Die Wahrheit über das Schicksal meines Vaters blieb verborgen. Vielleicht bleibt es für immer so. Ich habe auf jeden Fall das Gefühl, daß es nicht mehr wichtig ist. Was immer er getan oder unterlassen haben mag, ich glaube nicht, daß irgendeine Macht auf Erden das Recht hat, ihre eigenen Bürger an einen Pfahl zu binden und zu erschießen, und das nach einem Gerichtsverfahren, das nur dem Namen nach eines war. Ich habe in den vergangenen Jahren viele Bücher zu dem Thema gelesen, und ich glaube, daß die meisten rechtschaffenen Menschen mit mir darin übereinstimmen, daß ein schrecklicher Fehler begangen wurde, auch wenn unsere politischen Führer das natürlich nicht anerkennen wollen.
    Deshalb halte ich es für richtig, daß ich Dir, meinem Testamentsvollstrecker, nicht das Fieber meiner Obsession weiterreiche, sondern die klinischen Unterlagen, weil sie Teil der Familiengeschichte sind. Vielleicht hat sie uns zu dem gemacht, was wir heute sind, worauf ich, wenn es zutreffen sollte, nicht sehr stolz bin.
    Verzeih mir die alberne Prüfung, der ich Dich unterzogen habe, bevor diese Papiere in Deinen Besitz übergehen durften. Aber ich hatte noch Zweifel, und auf diese Weise habe ich sie wenigstens mit einer formalen Geste besänftigt. Ich werde Barbara anweisen, diese Dokumente zu verbrennen, sollte es einen Hinweis darauf geben, daß Du meine Asche (und wer sollte Dir das ankreiden?) in den nächsten Graben geschüttet hast.
    Und vergib mir auch, wenn Du meinst, es sei nötig und auch möglich, daß ich so bin, wie ich bin. Hier findest Du vielleicht einige Gründe dafür.
     
    Deine Dich liebende Großmutter
    Ada
    Er legte den Brief hin und sah nach Rosie. Sie lag auf dem Bauch, völlig in ein Science-Fiction-Trickfilmabenteuer vertieft. Er sagte: »Danach ist Schluß, O. K.?« und lächelte, als sie ungeduldig abwinkte.
    Er schlug das Schulheft auf.
    Auf der ersten Seite stand in der sorgfältigen, fast kindlichen Schrift eines im Schreiben Ungeübten und Lichtjahre von dem flüssigen, winzigen Gekritzel des ledergebundenen Tagebuchs entfernt zu lesen:
    16. April 1913. Mr. Cartwright vom Institut meint, daß es mir beim Schreiben, Lesen und Diskutieren über neue Ideen hilft, wenn ich über etwas schreiben würde, worüber ich eine Menge weiß. Auf meine Frage, worüber, hat er gesagt: Wie wäre es, wenn du über dich selbst schreibst, über dein Leben? Ich hab gesagt: Und wer würde das wohl lesen wollen? Und er hat gesagt: Wie steht es mit deiner Tochter, wenn sie groß ist? Deshalb ist das für dich, Ada. Das heißt, wenn es sich herausstellen sollte, daß es sich lohnt, es aufzuheben. MEIN LEBEN .
    Peter Pascoe blätterte um.

Acht
    A ndy. Ich hab mir schon gedacht, daß du es bist. Komm rein.«
    Cap Marvell führte Dalziel ins Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch stand die Flasche mit Lösungsmittel-Scotch, sie war offen und ein gefülltes Glas stand daneben. Aus der Stereoanlage ertönte die Stimme einer Frau, die aufgeregt etwas auf deutsch sang.
    »Trinkst du einen mit?« sagte Cap.
    »Nein, danke«, sagte Dalziel. »Hat sie’s noch immer mit dem Krieg?«
    »Nein. Sie sagt, daß sie ihre Kinder bei dem schlechten Wetter nicht hätte rausgehen lassen dürfen. Sie sind gestorben, verstehst du. Er hat eine ganze Reihe von Liedern über sterbende Kinder geschrieben.«
    »Klingt ganz so, als wäre er ein großer Spaßvogel gewesen«, sagte Dalziel.
    »Er konnte durchaus fröhlich sein«, lächelte sie. »Weißt du, das Lied könnte auch über den Krieg sein. Alle Kriege. Die Kinder hinauszuschicken, wo die Kugeln wie Hagel niederprasseln und die Granaten ganze Scheiben aus Wäldern und Menschen rausschneiden.«
    Das Lied war zu Ende. Sie stellte das Gerät ab.
    »Du tust noch immer so, als hättest du deinen Jungen im Falkland-Krieg verloren«, sagte Dalziel.
    »Das habe ich auch, sozusagen«, erwiderte sie. »An seiner Stelle habe ich nun einen Helden, was nicht ganz dasselbe ist. Ich habe übrigens gestern mit ihm zu Abend gegessen.«
    »Ach ja? Legt er Sporen und Schwert ab, bevor er sich zum Essen setzt?«
    Sie runzelte die Stirn: »Andy, von Zeit zu Zeit spreche ich vielleicht mit einem Anflug von Satire über meinen Sohn, aber dieses Privileg erstreckt sich nicht auf meine Freunde.«
    Dalziel kratzte sich sein linkes Doppelkinn wie ein Küchenchef, der ein T-bone-Steak weicher machen will.
    »Nun hast du es mir aber gegeben«,

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