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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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marschierte durch die offene Tür ins Eßzimmer, wo ihr Mann vor einem Tisch voller Papiere saß.
    »Peter!« sagte sie. »Weißt du eigentlich, wieviel Uhr es ist?«
    Er warf einen flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr.
    »Schon so spät? Du warst doch nicht etwa die ganze Zeit im Krankenhaus?«
    »Doch. Und ich habe dreimal versucht, hier anzurufen, aber ich habe immer nur den Anrufbeantworter bekommen.«
    »Tut mir leid. Ich muß vergessen haben, ihn abzustellen.«
    »Deshalb klingelt das verdammte Telefon aber trotzdem, Peter!« schrie sie aufgebracht.
    »Ja, aber wenn das Gerät angeschaltet ist, nur zweimal«, sagte er sachlich. Dann fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und sagte: »Ich habe alles um mich herum vergessen … das hier. Du würdest es nicht glauben.«
    »Wahrscheinlich nicht. Was ich aber geglaubt habe, ist, daß etwas Schreckliches passiert sein muß, wenn du mit Rosie nicht daheim bist. Und was zum Teufel sieht sie sich denn da im Fernsehen an?«
    Pascoe stand auf und warf einen Blick ins Wohnzimmer. Waynes gute Absichten waren vereitelt worden, und die Schlägerei im Saloon war in vollem Gang.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Aber du wirst es verstehen, wenn du das hier liest.«
    »Was ist das?« sagte sie und warf einen kurzen Blick auf den Tisch. »Herr im Himmel, doch nicht noch mehr über den Ersten Weltkrieg? Hast du denn alles Interesse am Hier und Heute verloren? Wie zum Beispiel, was sich dein Kind mit dem Programm antut? Und was auf der Intensivstation passiert?«
    »Es tut mir leid. Rosie, stell das ab. Und wie geht es Wendy? Gibt es – eine Veränderung?«
    »Ja, deshalb habe ich das erste Mal angerufen. Sie war wieder bei Bewußtsein.«
    »Großartig. Was hat sie gesagt? Erinnert sie sich?«
    Ellie schüttelte den Kopf.
    »Sie ist kaum wach. Man ist sich noch immer nicht sicher, wie sehr ihr Gehirn in Mitleidenschaft gezogen ist. Man hat mich kurz zu ihr gelassen. Zuerst hab ich gedacht, sie erkennt mich, aber dann hat sie gesagt: ›Cap, Cap, Cap … o warum, warum, warum?‹ Ich wäre noch länger geblieben, aber ich bin richtig unruhig geworden, weil ich nicht zu euch durchkam.«
    Pascoe nahm sie in den Arm und sagte: »Entschuldige, entschuldige vielmals.«
    Über die Schulter sah sie, daß der Streit im Saloon zu Ende war und Held und Heldin einander in den Armen lagen. Rosie, die entschieden hatte, daß Fleisch und Blut dem flachen Bild etwas voraushätten, ließ sie mit einem Knopfdruck verschwinden und beobachtete ihre Eltern. Ich wette, wenn wir ihr einen Faustkampf lieferten, würde sie ganz mit dem Fernsehen aufhören, dachte Pascoe.
    Er sagte: »O. K. Setz dich hierher, und ich hol dir was zu Essen, und Rosie bringe ich ins Bett. Möchtest du in der Zwischenzeit einen Drink?«
    »Das wäre großartig!«
    Er schenkte ihr einen Gin ein, stellte zwei Portionen Lasagne zum Auftauen in die Mikrowelle und scheuchte seine Tochter nach oben.
    Sie sagte: »Und wie ist es mit meinem Abendessen?«
    »O Gott, hast du denn noch nichts gegessen?« fragte er schuldbewußt.
    »Doch, ich hab mir selbst etwas gemacht«, grinste sie ihn an.
    Frühstück und Abendbrot an einem einzigen Tag. Dem Herrn sei gedankt, daß sie in der Schule eine Mahlzeit kriegt.
    Er sagte: »Das bleibt unter uns.«
    »Was bleibt unter euch?« fragte Ellie von der Tür aus.
    »Daß ich heute Ärger bekommen habe, weil ich auf dem Spielplatz mit Steinen geworfen habe«, erwiderte Rosie prompt und ließ einen Vater zurück, der erfreut darüber war, aus dem Schneider zu sein, aber entsetzt darüber, mit welcher Leichtigkeit seine Tochter ihrer Mutter eine überzeugende Lüge auftischte.
    Als er mit Rosie allein war, wollte er ihr deswegen den Kopf waschen.
    »Aber ich hab doch tatsächlich Ärger gekriegt, weil ich mit Steinen geworfen habe«, sagte sie. »Also hab ich doch nicht gelogen?« Das Ganze war dabei, sich von einem moralischen zu einem logischen Problem zu entwickeln.
    »Selbst die Wahrheit kann manchmal eine Lüge sein«, hörte er sich salbungsvoll sagen.
    »Aber kann eine Lüge nicht manchmal besser als die Wahrheit sein?« argumentierte sie.
    Dieses Stück Frühreife nahm ihm den Atem. Ein gescheites Kind zu haben, war eine Sache, aber die Kindheit konnte zu einer langen und holprigen Straße für einen Klugscheißer werden.
    Dann gähnte sie und fügte hinzu: »Wie fluchen.«
    »Hast du mit Miss Martindale gesprochen?« fragte Pascoe.
    »Ja. Ich mußte zu ihr, weil ich die Steine geworfen

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