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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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des Königs befanden. Ich sagte, ich hätte nichts gehört, was nach Verrat klang, und ob er sich nicht ein neues System ansehen wollte, das ich entworfen hätte, damit die Rechnungen an die Gläubiger effizienter erstellt werden könnten? Das lenkte ihn ab, und kurz darauf mußte er etwas Geschäftliches erledigen. Ich habe die Gelegenheit genutzt, mit Tommy Mather zu sprechen. Ich nahm an, daß er auch auf der Versammlung gewesen war, auch wenn ich ihn nicht gesehen hatte. Ich hatte recht, und wir sprachen ausführlich über das, was gesagt worden war. So ausführlich, daß wir unser Gespräch nicht vor aller Augen in der Fabrik zu Ende führen konnten, und wir haben uns später getroffen.
    Das war das erste von vielen Gesprächen, die ich mit Tommy geführt habe. Richtige Gespräche waren das. Nicht wie in der Vergangenheit, wo ich nur halb zugehört hatte, wenn er mich mit seiner Propaganda überschüttete, weil er mich als Mitglied werben wollte.
    Bei Mr. Grindals Heimkehr aus London war ich zahlendes Mitglied der Gewerkschaft.
    Als er ins Kontor kam und mich aufforderte, in sein Büro zu kommen, machte er ein so ernstes Gesicht, daß mir das Herz in die Hose sank. Ich dachte, er hat die Neuigkeit erfahren und entläßt mich. Eine Gelegenheit, die Solidarität der neuen Kameraden zu testen, von der ich soviel gehört hatte. Statt dessen sagte er, Mrs. Grindal habe Nachricht aus Cromer bekommen, daß es meiner Mutter sehr viel schlechter geht und sie mich sehen will.
    Er gab mir Urlaub, damit ich sofort fahren konnte. Ich war noch nie so weit mit dem Zug gefahren, noch möchte ich das wieder tun. Obwohl ich zugeben muß, daß es ein großartiger Anblick ist, die See funkeln zu sehen, einen Kilometer nach dem anderen, unter einem Himmel, der so blau ist wie eine angemalte Decke.
    Ich traf meine Mutter sterbend an, allein und auf sich gestellt. Es war zwar eine Wirtschafterin da, die für ihre Bedürfnisse zuständig war, aber sie war ein seltsam verschlossenes, unfreundliches Geschöpf und taugte als Gesellschaft soviel wie ein Dornbusch. Fürsorglich und zärtlich war niemand zu meiner Mutter. Ich habe keinen Zweifel, daß man ihr regelmäßig zu essen gab und daß der Arzt kam, wenn es ihr schlechter zu gehen schien, aber so würde man sich auch bei einem kranken Tier verhalten.
    Wie lange geht es ihr schon so? fragte ich. Über eine Woche. Und wann haben Sie Ihrer Herrin Bescheid gesagt? Vor über einer Woche.
    Mrs. Grindal hatte also schon über den Zustand meiner Mutter Bescheid gewußt, bevor ihr Mann sich auf Reisen begab, hatte aber nicht versucht, mich zu informieren. Und er hatte bis nach seiner Rückkehr gewartet, bevor er es mir sagte. Und doch würden beide behaupten, sie gut behandelt zu haben, fast wie ein Familienmitglied.
    So stand es in Wahrheit um das Dienstbotendasein, vor dem meine Mutter mich gewarnt hatte. Arbeit gehört durch einen Arbeitsvertrag geregelt, nicht durch das Patronat des Arbeitgebers. Meine Schuldgefühle vergrößerten meinen Zorn noch. Ich hätte besser aufpassen sollen. Hätte mehr Fragen stellen sollen. Ich saß an ihrem Bett und hielt ihre kalte Hand. Der Arzt kam, schüttelte den Kopf und ging. Ich saß fünf Stunden bei ihr. Sie stieß einen kleinen Seufzer aus. Ich dachte, sie habe ihr Leben ausgehaucht, und habe ihr die Hand gedrückt, um es wieder zurückzuholen. Es war zu fest für sie, denn sie verzog schmerzlich das Gesicht und sagte: Kriegen, tragen, gehen. Immer hast du mir Schmerzen bereitet. Und dann war sie nicht mehr.
    Das war es also gewesen. Sie hatte ein merkwürdiges Leben geführt. Hatte sich um die Kinder anderer Leute gekümmert und nicht um ihr eigenes, noch hatte sich dieses um sie gekümmert. Und dann kam es zum letzten Abschied, und wir wußten so wenig voneinander wie damals, als ich mich nach Kirkton aufmachte, um in der Fabrik zu arbeiten.
    Mein Zorn war verraucht, als ich heimreiste, oder zumindest zeigte ich ihn nicht mehr. Zorn ist gut als Treibstoff und eine Verschwendung als Flamme. Aber ich wußte nun, wohin ich gehörte.
    In Kirkton traf ich Mr. Grindal in hellster Aufregung an. Es gibt Krieg. Wir müssen bereit sein. Es klang wie Vaterlandsliebe, aber als er dachte, er ist allein mit seinem Schwager, hörte ich eines Abends im Büro zufällig: Vielleicht dauert der Krieg nur wenige Monate. Wenn wir nicht gleich von Anfang an dabei sind, könnte es zu spät sein, um richtig davon zu profitieren. Das klang in meinen Ohren mehr nach

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