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Der Wald des Vergessens

Der Wald des Vergessens

Titel: Der Wald des Vergessens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Reginald Hill
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unserer Gruppe darüber sprechen, was gestern abend bei dem Anschlag vorgefallen ist.«
    »Hör zu, ich kann verstehen, daß du bestürzt bist, daß wir diese Leiche gefunden haben …«
    »Das bestürzt mich gar nicht, nein, die paar alten Knochen lassen mich kalt … also, läßt du mich nun rein oder nicht?«
    Cap beugte sich vor und schnüffelte. »Du hast etwas getrunken«, sagte sie.
    »Entschuldige, daß ich atme«, sagte Wendy. »Entschuldige, daß ich esse und trinke und schlafe und wache und pisse und scheiße und all die anderen Dinge mache, die richtige Leute tun. Ja, ich habe etwas getrunken, nicht viel, aber ausreichend, um auf den verrückten Gedanken zu kommen, es könnte sich lohnen, hierherzukommen, um über ein paar Dinge zu reden …«
    »Höchst eindrucksvoll«, sagte Cap. »Aber es wird warten müssen, bis du ein bißchen nüchterner bist und ich ein bißchen weniger zu tun habe. Bis später, Wendy.«
    »Später? Ja, sicher, nur daß es ein bißchen zu verdammt spät für dich sein könnte, Cap, ein bißchen zu verdammt spät!«
    Cap Marvell machte einen Schritt zurück und schloß die Wohnungstür. Wendy Walker wandte sich ab und ging zum Aufzug, doch bevor sie ihn erreichen konnte, zog Andy Dalziel, der die letzten Minuten darin gestanden und gelauscht hatte, den Fuß zurück, mit dem er die Tür offen gehalten hatte, und drückte den Knopf für das nächste Stockwerk.
    »Scheiße!« sagte Wendy und wandte sich zur Treppe.
    Fünf Minuten später läutete es wieder an der Wohnungstür.
    Cap sah erst durch das Guckloch, um sicherzugehen, dann öffnete sie die Tür mit einem breiten Lächeln.
    »Hallo«, sagte sie. »Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, daß Sie zu spät kommen, bei einem ersten Rendezvous ist das erlaubt.«
    »Ach ja?« sagte Dalziel. »Man hat mir im Präsidium gesagt, daß Sie eine Aussage machen wollen. Von einem Rendezvous war nicht die Rede.«
    »Ich glaube, daß ich etwas von Mittagessen gesagt habe. Aber ob Sie nun davon ausgegangen sind, daß Sie etwas zu essen kriegen, oder ob der Zeitpunkt, zu dem Sie kommen, einem glücklichen Zufall zu verdanken ist, macht wenig aus. Sie sind hier. Da ist Essen. Bitte setzen Sie sich.«
    »Und wenn ich nicht hungrig bin?«
    »Sie machen auf mich nicht den Eindruck eines Menschen, Mr. Dalziel, dessen Appetit viel mit Hunger zu tun hat. Setzen Sie sich doch.«
    Dalziel dachte nach. Die Frau hatte recht. Also setzte er sich und langte zu.
    Sie sah schweigend zu und bewunderte die einfache, fast poetische Effizienz seiner Technik.
    Man hatte keinen Eindruck von Völlerei, weder war der Mund zu voll, noch quoll er über (was bei den Walfischdimensionen des Kiefers wahrlich eine Kunst gewesen wäre), sondern es war eine schlichte Prozession von Nahrung durch die Marmorportale seiner Zähne, eine kurze, rhythmische Kaubewegung, ein kurzes Schlucken, das auf der soliden Säule seiner Speiseröhre kaum wahrnehmbar war.
    Die Pastete verschwand mit Ausnahme der kleinen Ecke, die sie sich genommen hatte.
    Er sagte: »Wollen Sie auch was essen oder nur zuschauen?«
    Sie knabberte an der Pastetenkruste herum und sah noch immer mit ehrfurchtsvoller Bewunderung zu, wie er ein Baguette spaltete, es gekonnt mit Käse, Chips, Salatblättern und Silberzwiebeln belegte, zuklappte und an die Lippen hob.
    »Erinnern Sie sich an die Szene in dem Film Tom Jones, wo sie sich gegenseitig scharfmachen, nur indem sie essen?« sagte sie. »Bis jetzt habe ich nie so richtig verstanden, wie das funktioniert.«
    »Was?« sagte Dalziel.
    Sie sagte: »Das kriegen Sie nie rein.«
    Dalziel erwiderte nichts. Seine Mutter hatte ihm beigebracht, daß man nicht mit vollem Mund spricht.
    Als das Baguette verschwunden war wie ein Wachtraum, schenkte er sich die dritte Dose ein und sagte: »Okay, Mrs. Marvell, was soll das alles?«
    »Nennen Sie mich Cap«, sagte sie.
    »Warum?«
    »Den Spitznamen haben mir meine Mitschüler im Internat gegeben. Captain Marvel. Während der Pubertät hab ich versucht, dem Namen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Genau besehen hab ich ihn dadurch verloren, daß ich ihm Gerechtigkeit widerfahren lassen wollte. Es kam mir ungeheuer captainmarvellisch vor, mit siebzehn einen Honorable zu heiraten, aber ich hab bald rausgekriegt, daß man sich nicht Cap nennen lassen kann, wenn man Mrs. Rupert Pitt-Evenlode ist. Eigentlich ist es schwierig, überhaupt etwas anderes als die Honorable Mrs. undsoweiter zu sein, wenn man eine solche

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