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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Deutschland schon zehn Personen zusammenlegen. Fünf Kubikmeter werden zu Balken und Sparren, der Rest verbleibt als Abfall im Sägewerk. Dieses verkauft ihn in Form von Spänen und Reststücken an die Spanplattenindustrie, die aus diesen Rohstoffen die Bretter für Billigmöbel und anderes presst.
    Besonders hochwertiges Holz wird furniert, also mit scharfen Messern zu millimeterdünnen Blättern geschnitten, die dann auf minderwertiges Holz geklebt werden. So können besonders schön gemaserte Stämme Hunderte von Möbelstücken veredeln, denn aus einem Kubikmeter Holz lassen sich 1 000 Quadratmeter Furnier schneiden.
    Eine wichtige Leistung unserer Forste ist die Filterung der Luft. Ein durchschnittlicher Wald befreit die Luft mit seinen Blättern, Zweigen und Ästen pro Quadratkilometer und Jahr von bis zu 50 Tonnen Staubpartikeln. 4 Auf die gesamte Waldfläche Deutschlands bezogen sind dies 5,5 Millionen Tonnen pro Jahr. Dabei sind Fichten und Kiefern effektiver als Laubbäume, da diese eine geringere Blattoberfläche aufweisen, im Winter ihr Laub verlieren und die kahlen Äste kaum etwas einfangen. Die Filterwirkung der Bäume können Sie bei Nebel selbst erleben: Dann tropft es unter den Zweigen, auch wenn es nicht regnet.
    Manchmal allerdings werden Wälder auch zu Staubquellen. Im Frühjahr zur Blütezeit ziehen riesige Wolken gelber Pollen über die Wipfel hinweg und pudern die Umgebung regelrecht ein. Jeder Windstoß lässt erneut Schwaden aufsteigen, bis nach Wochen der Vorrat erschöpft ist oder heftige Regenfälle die kleinen Teilchen auswaschen und zu Boden bringen.
    Und wie ist das nun mit der oft gehörten Aussage, Wald wäre ein Sauerstofflieferant? Solange ein Baum wächst, nimmt er CO 2 auf, verbaut den Kohlenstoff in Holz und Blättern und atmet Sauerstoff aus, so weit stimmt die Geschichte. Doch ist das zu kurz gedacht. Denn die Bäume aus unseren Wirtschaftswäldern enden praktisch alle irgendwann im Sägewerk oder in Papierfabriken. Sind die Produkte nicht mehr recycelbar, so werden sie verbrannt. Rund die Hälfte des Holzeinschlags wird sogar direkt in Millionen von Kamin- und Kachelöfen verfeuert. Über kurz oder lang löst sich Holz also wieder in Asche und Rauch auf. Und genau dabei wird Sauerstoff verbraucht und CO 2 freigesetzt – exakt die Menge, die beim Wachstum gebunden wurde. Das Ganze ist daher bei einem bewirtschafteten Wald ein Nullsummenspiel. Unter dem Strich kann nur ein Urwald mehr Sauerstoff produzieren als verbrauchen, aber so etwas gibt es in Mitteleuropa bis auf wenige Reste nicht mehr.

Wild wachsende Bäume
    Will man die Frage, was ein Urwald überhaupt ist, beantworten, dann kann man verschiedenen Definitionen folgen. Für manche Experten reicht es, wenn so ein Wald einen hohen Anteil Totholz hat, eine lange Zeit ohne forstwirtschaftliche Nutzung war sowie eine natürliche Baumartenzusammensetzung mit alten Bäumen aufweist. 5 Urwälder können demnach durchaus Wälder sein, die einst sehr stark vom Menschen verändert wurden, sich jetzt aber wieder zurück zum ursprünglichen Zustand entwickeln. Nach dieser Definition hätten wir noch einige Urwälder in Mittel europa. Ich neige jedoch einer strengeren zu, die als Urwald nur unberührte, echte Primärwälder ansieht. Denn dort ist auch der Boden unbeeinflusst, während er sich in früher bewirtschafteten Gebieten etwa durch den Tritt von Weidevieh oder Erosion so verändert hat, dass auch bei einer späteren Wiederbewaldung keine Erholung mehr möglich ist. Nach dieser Lesart gibt es in Mitteleuropa bis auf wenige klägliche Reste keine Urwälder mehr.
    Wenn meine Frau und ich Urlaub machen, reisen wir am liebsten in die abgelegenen Landstriche Skandinaviens. Hier sind die nächstgelegenen, noch völlig ungestörten Urwälder zu finden. Von Natur aus wachsen in Lappland Nadelbäume, denn dieses Gebiet gehört zur Taiga und zur kaltgemäßigten Klimazone der höheren Breiten. Das ist etwas ganz anderes als unsere heimischen Laubwälder, dennoch kann ich dort die Prozesse erspüren, die jedem Urwald der Erde zu eigen sind. Diese Bäume sind im Gleichgewicht, ihnen geht es gut. Wenn der Nieselregen zwischen Kiefern und Fichten auf die Heidelbeerpolster fällt, wenn Bart flechten an den Ästen den vorüberziehenden Nebel durchkämmen und leise vor sich hin tropfen, dann glaubt man, in einer anderen Welt zu sein. Lediglich die Schwärme winziger Mücken, die wolkenartig vor meinem Mund schweben und mit ihren Stichen

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