Der Wald - ein Nachruf
meine Aufmerksamkeit einfordern, holen mich aus den Tagträumen zurück. Woran liegt es, dass intakte Wälder eine solche Wirkung auf Menschen haben? Gibt es einen unterschiedlichen Erholungswert unter gestressten und ausgeglichenen Bäumen? Ich glaube fest daran, dass das so ist, und die Gründe dafür erfahren Sie in den folgenden Kapiteln.
Wandern auf Bäumeart
Vor 4 000 Jahren war Mitteleuropa von Urwäldern bedeckt. Nur entlang der Flussufer, in Moorgebieten und oberhalb der Baumgrenze in den Alpen konnte der Blick in die Ferne schweifen.
Auf dem größten Teil der Fläche herrschten Buchen als ungekrönte Könige. Andere Baumarten wie Eiche, Esche, Weißtanne oder Ahorn kamen nur vereinzelt vor und in den Hochlagen, klimatisch der Taiga des hohen Nordens ähnlich, gab es eine Zone, in der auch Fichten oder Kiefern auftauchten. Das war’s. Artenvielfalt kann man das nicht nennen und der Grund für diese Eintönigkeit liegt in der letzten Eiszeit. Die sich vorschiebenden Gletscher vernichteten die ursprünglichen Wälder, und wer sich als Art nicht in wärmere Gefilde zurückziehen konnte, wurde ausgerottet. Zurückziehen?
Bäume haben keine Beine, sondern bleiben ihr Leben lang an Ort und Stelle. Wandern können sie dennoch, und zwar mithilfe ihrer Samen. Keimen diese an einem entfernten Standort, so wächst ein neues Exemplar heran, das sich nach einigen Jahren ebenfalls vermehren kann. Jede Generation kann also genau so weit in die Ferne schweifen, wie ihre Früchte transportiert werden. Danach gibt es eine Unterbrechung, bis der Nachwuchs geschlechtsreif ist, erst dann können erneut Samen weiterziehen.
Ein Beispiel: Zitterpappeln verpacken ihre kleinen Nüsschen in Watte, die schon vom leisesten Windhauch weggeweht wird. Angenommen, diese Bäusche fliegen 100 Kilometer weit und die daraus keimenden Sämlinge werden nach zehn Jahren zu großen Bäumen, die blühen, dann kann diese Art in zehn Jahren 100 Ki lometer wandern. Schwerfrüchtige Bäume wie Buchen oder Eichen sind viel langsamer, da die Bucheckern und Eicheln auch bei Wind einfach unter den Mutterbaum fallen. Und das ist aus zweierlei Gründen riskant. Ein Ausweichen in günstigere Klimazonen ist, wenn überhaupt, nur im Schneckentempo möglich und eine vergleichsweise schnelle Veränderung wie die erwähnte Eiszeit überrollt solche Schlafmützen. Zudem besteht die Gefahr der Inzucht, denn wenn der eigene Nachwuchs stets in unmittelbarer Nähe der Eltern groß wird, vermischt sich das Erbgut der verschiedenen Generationen einer Baumfamilie. Genetische Viel falt, Voraussetzung für eine gesunde Population, kann so nicht entstehen. Aber hier wissen sich die Bäume zu helfen und setzen auf tierische Unterstützung.
Bei der Flucht der Bäume vor dem heranrückenden Eis gab es ein entscheidendes Hindernis: die Alpen. Diese waren bereits vergletschert, sodass hier keine Baumgeneration heranwachsen konnte, um sich weiter nach Süden auszubreiten. Wer keinen klimatisch sicheren Schlupfwinkel fand oder auch schon süd lich der Alpen wuchs, wurde in Süddeutschland vom Eis überrollt und starb in Europa aus. Solche Kandidaten waren beispielsweise die Douglasie und verschiedene Eichenarten.
Nach dem Ende der Eiszeit wagten sich die Bäume mit den steigenden Temperaturen wieder aus ihren Schlupfwinkeln im Süden Europas nach Norden vor. Zuerst fassten die »Schnell läufer« wie Birken und Kiefern Fuß, die mit weiter zunehmenden Temperaturen von Eichen abgelöst wurden. Vor etwa 5 000 Jahren wendete sich dann das Blatt, da das Klima wieder etwas kühler und feuchter wurde. Nun trat die Buche vor den massiven Eingriffen der Menschen einen wahren Siegeszug durch Europa an und hätten wir sie nicht gebremst, so würde sie aktuell das südliche Skandinavien erobern. Ganz so langsam kann sie demnach nicht sein und das Geheimnis ihrer Ausbreitung ist auch das Geheimnis ihres Überlebens während der Kälteperiode: Es sind tierische Verbündete wie Mäuse, Eichhörnchen oder Eichelhäher, die ganz wild auf die fetthaltigen Samen sind. Sie sammeln die Früchte und lagern sie in Depots, damit der Vorrat über den ganzen Winter bis ins nächste Frühjahr reicht.
Die Wissenschaft weiß über den Eichelhäher Erstaunliches zu berichten. Er gehört zu den Rabenvögeln, deren Intelligenz man erst seit wenigen Jahren richtig einschätzt. Die kleinen, fingernagelgroßen Gehirne funktionieren anders als bei vielen anderen Arten und arbeiten trotz ihrer geringen
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