Der Wald - ein Nachruf
wie könnte es anders sein, über dienstliche Dinge. Miriam leitet den Betrieb des gemeindlichen Bestattungswalds und da gibt es viele Überschneidungen zu meiner Tätigkeit. Aber nein, wir wollten uns ja eigentlich nicht über den Beruf unterhalten; unsere Kinder beschweren sich zu Recht, wenn sie am Wochenende mit uns essen. Immer geht es nur um den Dienst, wann können wir endlich mal abschalten? Oder ein kleines Nickerchen machen? Die Augen werden schon schwer, die wohlige Ofenwärme tut ihr Übriges, da klingelt das Telefon. Mein Puls ist sofort wieder auf 120 und ich drücke auf den grünen Knopf des Hörers. Es meldet sich der Lkw-Fahrer der Selbstwerberfirma, der das Holz nicht findet, das er ins Werk bringen soll. In Ordnung, ich werde es ihm rasch zeigen. Aus dem »Rasch« wird eine Stunde, weil ich unterwegs schnell noch mal nach den Waldarbeitern sehe. Haben sie noch genug zu tun oder muss ich noch mehr Bäume auszeichnen?
13:30 Uhr: Ich sitze wieder am Schreibtisch und bereite die Gemeinderatssitzung für morgen Abend vor. Der Bürgermeister will wissen, ob wir mit dem Brennholzverkauf an die Bürger überhaupt Geld verdienen. Brennholz, der neue Volkssport, macht viel Arbeit. Jeder Haushalt im Einzugsbereich möchte gern fünf bis zehn Raummeter Buche oder Eiche kaufen. Dazu werden die Stämme von Waldarbeitern gefällt und danach einzeln vermessen. Mit Sprühfarbe kommt noch eine Nummer auf jedes Stück, anschließend wird der genaue Ort in eine digitale Karte eingetragen. Viel Aufwand für wenig Geld, denn Brennholz zählt zu den billigsten Sortimenten. Aber was soll’s, der Wald ist Gemeindewald, gehört schließlich den Bürgern und die lieben diese Freizeitbeschäftigung. Dabei geht es nicht nur um die Brennstoffgewinnung, sondern mindestens ebenso sehr um das Walderlebnis. Mit den eigenen Kindern auf dem Traktor hinauszufahren, Stämme klein zu sägen und zu spalten, um am Abend mit hochbeladenem Anhänger wieder nach Haus zu fahren – das will sich kaum jemand entgehen lassen. Draufzahlen möchte der Bürgermeister für die Brennholzbereitstellung aber auch nicht, und so muss ich noch einmal alles genau durchrechnen, um morgen vor dem Gemeinderat umfassend Auskunft geben zu können.
15:00 Uhr: Zeit für eine Tasse Kaffee. Miriam und unser Sohn Tobias sitzen mit mir am Küchentisch und wir versuchen, nicht vom Revier zu sprechen. Wie war die Schule, was macht der Garten? Das Telefon unseres Ruheforsts klingelt, da steht sicher ein neuer Sterbefall an. Miriam verdreht entschuldigend die Augen und eilt aus der Küche, während Tobias die Tassen in die Spülmaschine räumt. Die Kaffeepause ist damit beendet und ich mache mich wieder an die Arbeit. Es geht noch einmal hinaus, diesmal in den Ruheforst. Ein Ehepaar aus Bonn hat sich angemeldet, um sich einen Baum als letzte Ruhestätte auszusuchen. Ich parke auf dem Waldparkplatz und halte Ausschau nach einem Pkw mit dem Kennzeichen BN. Kurz vor 16:00 Uhr erscheint er, am Steuer eine ältere Dame. Nach kurzer Begrüßung fahren wir zum Waldfriedhof, die Auswahl dauert eine knappe Stunde. Nach meiner Rückkehr ins Forsthaus gebe ich Miriam alle Daten des Baumverkaufs, damit die Verträge aufgesetzt werden können.
17:15 Uhr: Es regnet und ich gehe noch einmal zu den Pferden, die auf ihr Futter warten. Sie haben sich schön in ihren Unterstand gestellt und schauen mir entgegen, wie ich durch den Regen zu ihnen komme. »Schön, dass wenigstens ihr trocken bleibt«, geht es mir durch den Kopf. Zurück im Forsthaus setze ich mich erst einmal wieder ins Kaminzimmer, um zu trocknen.
Es ist 20:00 Uhr. Der Gong der Tagesschau fällt fast mit dem Klingeln an der Haustür zusammen und ich wälze mich umständlich vom Sofa. Mist, beinahe wäre ich eingeschlafen. Auf dem Weg zur Tür versuche ich, mein müdes Gesicht wieder in Form zu bringen. Vor mir steht der Jagdpächter der Nachbargemeinde. Ich hatte mich gegenüber dem Bürgermeister bereit erklärt, den Abschuss zu kontrollieren, damit die Pächter nicht mogeln können. Nur jedes gezählte Reh darf als erlegt gelten, was keine Selbstverständlichkeit ist. Denn vielerorts drücken sich die Jäger um die Reduzierung der hohen Wildbestände, indem sie einfach irgendwelche Fantasiezahlen an die Behörden melden. Nicht mit mir! Also gehe ich mit dem Waidmann zu seinem Geländewagen und schaue in den blutverschmierten Kofferraum. Ein Reh, in Ordnung, wird notiert.
20:15 Uhr: Jetzt ist wirklich Feierabend.
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