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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Bäume ja gepflanzt werden. Zu ihrem Unglück sollten sie das auch noch selber machen und wurden verpflichtet, Fichten und Eichen zu säen. Kein Wunder, dass Widerstand aufkam, der mancherorts in Sabotageakten gipfelte. So wurde das Saatgut nachts auf die heiße Herdplatte gelegt, sodass die anderntags an gelegten Forstkulturen nicht gediehen. Trotz dieser Vorfälle wuchs die Waldfläche stetig und dieser Trend ist bis heute ungebrochen. Aktuell sind in Deutschland und der Schweiz jeweils 31 Prozent der Landesfläche bewaldet, in Österreich sind es sogar 48 Prozent. 1 Innerhalb der letzten 40 Jahre sind allein in Deutschland 10 000 Quadratkilometer, das entspricht viermal der Größe des Saarlands, dazugekommen. 2
    Die staatlichen Aufforstungsprogramme waren aber nicht die eigentliche Ursache für die wachsenden Wälder. Denn die prosperierende Industrie brauchte vor allem eines: Energie. Um Eisen zu verhütten und Stahl zu erzeugen, um Glas zu schmelzen oder chemische Anlagen zu befeuern, immer wurde auf Holzkohle zurückgegriffen. Daher wären die neu gepflanzten Wälder nicht lange erhalten geblieben, wenn der Energiehunger nicht anders hätte gestillt werden können. Der heimliche Retter der Bäume war die Steinkohle. Mit der stetig steigenden Fördermenge dieses fossilen Rohstoffs wurden die Wälder entlastet und die Köhler arbeitslos. Und während die Schornsteine in den Ballungsgebieten munter qualmten, wurde draußen auf dem Land ein Forst nach dem anderen neu gegründet. Die Heidelandschaften, die das Bild der Mittelgebirge großflächig prägten, wurden von Fichten-, Kiefern- und auch Eichenwäldern abgelöst. Die dicken Stämme schätzte man weiterhin als Bauholz, der Bedarf an Brennholz sank jedoch rapide. Diese verringerte Nachfrage hielt bis ins 21. Jahrhundert an und verhinderte eine erneute Übernutzung.
    Mit den früheren Urwäldern hatten diese Forste allerdings kaum noch etwas gemeinsam. Dazu trugen vor allem zwei Umstände bei: Anstelle der heimischen Laubhölzer pflanzten die Förster bevorzugt Fichten und Kiefern, Arten, die ursprünglich in der Taiga zu Hause sind. Diese werden von Wildtieren kaum ver bissen und wachsen besonders gerade. Um dem Ordnungssinn der Verwaltungen Rechnung zu tragen, wurden die Schösslinge akkurat in Reih und Glied gesetzt, und zwar immer nur eine Baumart pro Fläche. Diese Flächen glichen Rechtecken mit schnurgeraden Seitenlinien. So entstand statt des ursprünglichen Waldes ein gigantisches baumbestandenes Schachbrett, bei dem auf jedem Feld nur Exemplare einer einzigen Baumart mit exakt gleichem Alter wuchsen. Auf diese Art und Weise ließ sich der Holzeinschlag bestens kontrollieren. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Fichten sind nach 100 Jahren schlagreif, also dick genug, um aus ihnen anständige Balken sägen zu können. Wenn man nun den Forst in 100 gleich große Felder einteilt und jedes Jahr Fichten aussät, dann kann man nach 100 Jahren pro Jahr ein Feld erntereifer Fichten abholzen und muss diese Fläche anschließend wieder aufforsten. Sollte ein Waldbesitzer zwei Felder auf einmal nutzen, so würde das schnell auffallen.
    In Bezug auf eine nachhaltige Holznutzung, die jedes Jahr gleichbleibende Erträge liefert, war das Modell stimmig. Die Natur hat in diesen Monokulturen allerdings das Nachsehen. Und sie wehrt sich in Form von Insekten, die die Nadelbäume quadratkilometerweise auffressen. Zudem reißen Stürme immer wieder Lücken in die sorgsam geplante Ordnung. Dennoch ist diese Kästchenstruktur bis heute erhalten geblieben, was man auf Luftbildaufnahmen gut erkennen kann – schauen Sie doch einfach mal im Internet nach. Unsere Wälder sehen aus wie ein Flickenteppich und das ist das Resultat der althergebrachten Forstwirtschaft.
    Dieses Stückwerk spuckt eine große Menge Holz aus. Wollte man die jährlich im deutschsprachigen Raum produzierte Menge auf einen Schlag abtransportieren, so bräuchte man eine Flotte von rund 3,5 Millionen Lkw. Eine gewaltige Masse, die pro Kopf und Jahr schon etwas übersichtlicher wirkt: In der Schweiz be trägt die geerntete Menge 0,7, in Deutschland einen und in Österreich zwei Kubikmeter. Ein Kubikmeter Holz entspricht etwa dem Stamm eines 60-jährigen Baumes. Als Brennholz kann dieser Kubikmeter 180 Liter Heizöl ersetzen, als Industrieholz kann er zu 300 Kilogramm Papier verarbeitet werden, woraus sich rund 1 500 Tageszeitungen herstellen lassen. 3 Für den Dachstuhl eines Einfamilienhauses müssen in

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