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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Vorfahren der Buche bei der Ausbreitung halfen, ist umstritten. Denn diese Bäume können nicht gemeinsam mit vielen großen Pflanzenfressern in einem Lebensraum existieren. Wildpferde, Auerochsen und Hirsche fressen alle saftigen Triebe, derer sie habhaft werden können. Ob blühende Gräser, aromatische Sträucher oder die Knospen junger Bäume, alles wandert in die hungrigen Mägen. Daher haben sich sämtliche Pflanzen, die mit solchen Tieren einen Lebensraum teilen, an die ständige Gefahr angepasst. Gräser können unendlich oft aufs Neue austreiben und so die Verluste ersetzen. Kräuter wie Brennnesseln, Disteln oder Fingerhut wehren sich mit Stacheln, Brennhaaren, Gift oder Ähnlichem. Sträucher bilden eine dornige Mauer, an denen sich die gierigen Mäuler blutig beißen. Die Landschaft vor 10 000 Jahren muss demnach eine Steppe, durchsetzt mit Sträuchern und wenigen Einzelbäumen, gewesen sein.
    Und die Buche? Sie hat nichts von alledem, sondern streckt ihre leckeren Zweige und Knospen den Fressfeinden ungeschützt entgegen. Wenn ihre Sämlinge ständig abgebissen wurden, wie konnte sie sich dann gegen die Pflanzen der Steppe durchsetzen? Hier kommt der Theorie zufolge der Mensch ins Spiel. Er jagte die Pflanzenfresser, um sie seinerseits zu verspeisen. Durch die effektiven Jagdmethoden mit Pfeil und Speer dezimierte er Pferde und Wildrinder so sehr, dass sie mancherorts verschwanden. Das war die Chance für die Buche. Sie wanderte nordwärts, eroberte neue Lebensräume und konnte große Wälder bilden. Ihre tierischen Feinde wurden vom Menschen so unerbittlich verfolgt, dass sie bis auf Hirsch und Reh schließlich samt und sonders ausstarben. Das verhalf meiner Lieblingsbaumart dann endgültig zum Durchbruch.
    Soweit die Theorie. Ich persönlich habe da allerdings meine Zweifel. Denn auch in den eiszeitlichen Rückzugsgebieten der Buche gab es Tiere mit Appetit auf Grünzeug. Mit Ausnahme der vereisten Gebiete existieren überhaupt keine Landschaften ohne Pflanzenfresser. Wo hätte sich dann die wehrlose Baumart im Lauf der Evolution entwickeln können? Logisch erscheint mir die Annahme, dass die Wildtierdichte ursprünglich sehr niedrig war. Ein Wildpferd oder Auerochse pro zehn Quadratkilometer, vielleicht noch ein paar Rehe dazu – das war’s. Schätzungen aus den heute noch verbliebenen Buchenurwäldern legen dies nahe. Unter solchen Bedingungen kann die Buche Fuß fassen. Hunderttausende von Sämlingen pro Baum können von so wenigen Pflan zenfressern nicht komplett aufgefressen werden; ein Teil wird unbeschadet überleben.
    Wachsen diese zu erwachsenen Bäumen heran und bilden einen Wald, so wird es dunkel. Denn Buchen nutzen das Sonnenlicht außergewöhnlich gut aus. Am Boden kommt dann kaum noch etwas davon an, für die meisten anderen Pflanzen reicht das nicht zum Überleben. In diesem Dämmerlicht fanden Pferde und Rinder folglich kaum Nahrung, und wenn, dann immer nur Buchentriebe und -blätter. Das wäre in etwa so, als würde man Ihnen permanent nur Schokolade anbieten. Eintönige Speisen hat man schnell satt und daher konzentrierten sich die meisten Tiere am Rand der Wälder, in den Flussauen oder den Hochlagen der Gebirge, wo Gräser und Kräuter eine Chance hatten. Die Buchenkeimlinge in den Buchenwäldern bekamen hierdurch noch einmal bessere Überlebenschancen – ein sich selbst verstärkendes System.
    Der natürliche Lebenszyklus einer Buche
    Wenn ich alte Bäume betrachte, kommen mir Dinosaurier in den Sinn. Es ist faszinierend, wie groß diese Tiere werden konnten. Brachiosaurier, harmlose Pflanzenfresser, ragten zwölf Meter in die Höhe, wurden über 20 Meter lang und wogen dabei über 50 Tonnen. Solche Geschöpfe würde ich gern einmal lebend sehen.
    Mit dem Blick in die Vergangenheit wird leicht übersehen, dass die größten Lebewesen, die jemals die Erde bevölkerten, noch heute unter uns weilen. Bei den Tieren sind es die Wale, die ihrerseits deutlich von Vertretern aus dem Pflanzenreich übertroffen werden, den Bäumen. Rekordhalter ist eine Douglasie, ein Nadelbaum der nordamerikanischen Pazifikküste, die 138 Meter maß, als sie gefällt wurde. Auch Mammut- oder Eukalyptusbäume kön nen ähnliche Größen erreichen und dabei ein Gewicht von über 1 000 Tonnen auf die Waage bringen.
    In Bezug auf das Alter geben Zwerge den Ton an. Per Zufall wurde 2008 im mittelschwedischen Dalarna eine Fichte entdeckt, die es in sich hat. Der unscheinbare Baum, windzerzaust und krumm

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