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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Arten. Ginster, Fingerhut und Fuchskreuzkraut, das ist ein giftiger Dreiklang der Flora. Selbst Rehe und Hirsche vergreifen sich nicht an diesen Ar ten, die sich so quadratkilometerweise ausbreiten können. Schön anzusehen sind sie allerdings, wenn ihre gelben und roten Blüten den nichts ahnenden Spaziergängern entgegenleuchten. Im Grunde signalisiert diese Farbenpracht aber, in welch schlechtem Zustand der Wald hier ist.
    Laubbäume kann man unter diesen Verhältnissen nur noch mit großen Mühen nachziehen. Kilometerlange Zäune, zwei Meter hoch um jede Anpflanzung gezogen, vermögen wenigstens eine Zeit lang die gierigen Tiere abzuhalten. Bei kleineren Flächen, wo der Aufwand nicht lohnt, wird auf die Gipfelknospen der Setzlinge eine Paste geschmiert. Sie soll den Pflanzenfressern den Appetit verderben.
    Die billigste Alternative ist die Pflanzung von Nadelbäumen, denn Fichten, Kiefern oder Lärchen sind für die Leckermäuler uninteressant. Harz, bittere ätherische Öle und stechende Triebe verderben den Genuss, sodass diese Arten nur im allergrößten Notfall angefressen werden.
    Die Konsequenz daraus ist, dass überall da, wo einst Laubwald wuchs, mittlerweile nur noch Fichten in Reih und Glied stehen. Zusammen mit den anderen Vertretern der Nadelgehölze bekommt so jeder Förster wenigstens optisch noch so etwas wie Wald zustande. Und hier liegt der eigentliche Grund für die starke Verbreitung von Fichten, Kiefern und Douglasien, den Brotbäumen der Forstwirtschaft. Ohne ihren massiven Anbau gäbe es vielerorts nur noch Buschland. Die grüne Kulisse suggeriert dem Laien, die Wälder der Heimat seien noch intakt.
    Unter dem Druck von Naturschutzorganisationen ändern die staatlichen und kommunalen Forstverwaltungen mittlerweile ihren offiziellen Kurs. Jede von ihnen kann ein Laubholzpro gramm vorweisen, das die Umwandlung monotoner Plantagen in naturähnliche Wälder beschreibt. 17 Dazu werden die Setzlinge eingezäunt, mit Wuchshüllen ummantelt oder mit Vergällungsmitteln bestrichen. Doch auf ganzer Fläche kann die Rückkehr der Laubwälder trotz aller Bemühungen allein wegen der hohen Wildbestände nicht gelingen. Immer wieder werden große Waldgebiete leer gefressen, wachsen dort nach Jahren doch nur wieder Fichten, deren Samen der Wind herbeigetragen hat. Aus der Not wird dann eine Tugend gemacht und die Forstverwaltungen behaupten einfach, dass das so geplant sei und man einen gewissen Anteil dieser Arten aus wirtschaftlichen Gründen im Wald haben müsse.
    Der »schöne« Nebeneffekt: Wenn das Ziel, wieder ursprüngliche Laubwälder entstehen zu lassen, partiell einfach aufgegeben wird, dann gibt es keine Konflikte mehr. Der Förster, zuständig auch für die Einhaltung der jagdlichen Bestimmungen, kann nun großzügig über die Kapriolen der Jäger hinwegsehen. Die halbzah men Herden von Reh- und Rotwild fressen ja nach dieser Lesart ohnehin nur das, was niemand will.
    Tierische Konkurrenz
    Im Frühjahr 2012 werden der Bürgermeister und ich in die Staatskanzlei nach Mainz eingeladen. Wir sollen für unser Urwaldprojekt »Wilde Buche« ausgezeichnet werden, welches wir in Hümmel ins Leben gerufen haben. Schon lange wollte ich unsere 200-jährigen Buchenwälder unter Schutz stellen und das ist nun gelungen. Die Gemeinde verpachtet sie an Firmen, die das Holz nicht nutzen und diesen Einsatz für die Natur für ihre Imagepflege verwenden. Daher darf hier kein Baum mehr gefällt werden. Die Preisverleihung im Rahmen des Wettbewerbs »365 Orte im Land der Ideen« kommt uns da sehr gelegen, ist dies doch kostenlose Werbung, die das Projekt noch weiter befeuern kann.
    Im Festsaal hängen schwere Kronleuchter von der Decke, denen man die 1950er-Jahre ansieht. Das Publikum klatscht, als der Bürgermeister auf die Bühne gebeten wird. Ich mache ein paar Bilder für die örtliche Zeitung und höre vor lauter Aufregung gar nicht richtig zu, als Ministerpräsident Beck lächelnd ins Publikum spricht: »Der Wolf, den man heute erschossen auffand, wurde natürlich nicht in Hümmel erlegt!« Was als Scherz gedacht war – in Hümmel schreiben wir Naturschutz schließlich besonders groß –, lässt mir das Herz stocken.
    Beim Sektempfang diskutieren wir anschließend mit Kurt Beck über die Ursachen. War es das Gefühl, ein wildes Raubtier zu erlegen, das den Jäger eine solche Straftat begehen ließ? Oder hasste er Wölfe, weil sie Konkurrenten um die Hirsche sind? Mir j edenfalls ist nicht nach Lachen

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