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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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regelrechter Zoo ist in den Wäldern Mitteleuropas entstanden, der das Jägerherz höherschlagen lässt. Das reicht diesen »Naturschützern« aber noch nicht aus. Daher werden weitere Arten angesiedelt, und zwar solche, die ebenfalls ein attraktives Geweih tragen – zum Beispiel Damhirsche, deren Körpermaße zwischen Reh und Rothirsch liegen. Sie stammen aus Kleinasien und wurden bereits vor Jahrhunderten vom Adel zur Bereicherung des Jagdvergnügens ausgesetzt. Die große Damhirschwelle brach aber erst in den letzten Jahrzehnten über die Waldlandschaften herein. Offiziell ist es verboten, fremde Tierarten auszusetzen. Jäger können aber sehr kreativ werden, wenn es darum geht, Vorschriften aufzuweichen.
    Ich hatte einen Fall in meinem Zuständigkeitsbereich, der besonders dreist war. Der Jagdpächter hatte ein Damwildgehege samt Tieren gekauft, woran zunächst nichts auszusetzen ist, denn vieles von dem, was Sie als Wildfleisch in den Supermärkten finden, stammt aus solch kommerziellen Haltungen. Nach Vermarktung stand dem neuen Besitzer allerdings offenbar nicht der Sinn. Ich kam an einem klirrend kalten Wintertag mit einer 20 Zentimeter dicken Schneedecke zufällig an der Anlage vorbei, die leer war. Im Zaun klaffte ein großes Loch und das Gelände außerhalb war von Hufspuren übersät. Von den Hirschen war weit und breit nichts zu sehen. Ein Anruf ergab, dass die Tiere ausgebrochen seien, ein Fremder vermutlich den Draht zerschnitten und somit das Debakel verursacht habe. Das musste ich zunächst so glauben. Also zeigte ich den Vorfall bei der Jagdbehörde an und der Pächter wurde aufgefordert, die Hirsche wieder einzufangen. Dazu war er angeblich auch bereit, und um seinen guten Willen zu demonstrie ren, kippte er einen großen Haufen der bei den Tieren besonders beliebten Zuckerrüben an den weit geöffneten Zaun. So hätte man die Ausreißer bequem zurückbekommen, denn dazu brauchte man nur den Draht wieder zu schließen, wenn sie fraßen. Daraus wurde nichts, denn »aus Versehen« hatte der Jäger die Rüben außerhalb des Zauns abgekippt. Wochenlang wurde dort gefressen und viele Spaziergänger beobachteten die halbzahme Herde am Futterhaufen. Einfangen ließen sie sich so allerdings nicht und deshalb gab der Besitzer sie schließlich offiziell auf. Das wäre für sich genommen eine positive Sache, denn wenn das Eigentum aufgegeben wird, dürfen solche Tiere wie Wildtiere nach behördlicher Genehmigung vom Jagdpächter geschossen werden. Doch in diesem Fall ging das Problem jetzt erst richtig los, waren ehemaliger Eigentümer und Pächter doch ein und dieselbe Person. Offiziell durfte er die Hirsche jetzt jagen, und wenn der Pächter nicht schleunigst alle erlegte, konnten sie sich ungehindert ausbreiten. An einem Abschuss hatte er aber zumindest in der ersten Zeit kein Interesse, sollte sich diese neue bejagbare Art so doch erst einmal ungestört ausbreiten. Was sie dann auch tat. Jahrelang vagabundierten die Ausreißer rund um mein Revier und verstärkten die Schäden, die durch Rehe und Rothirsche ohnehin schon sehr hoch waren. Erst in letzter Zeit wurde es um die Damhirsche ruhig.
    Lieblingsspeise
    Tiere müssen fressen und vertilgen dabei nicht wahllos alles, was sie finden, sondern suchen gezielt ihre Leibspeisen. Bei Rehen und Hirschen sind dies neben schmackhaften Kräutern die Blätter und Knospen von Laubbäumen. Im Sommer hält sich dabei der Schaden für den Wald in Grenzen, denn das Wild zieht in die Wiesen und Felder, die nun das reinste Schlaraffenland sind. Was die Landwirte für den menschlichen Verzehr anbauen, eignet sich in aller Regel auch für Tiere. Hafer, Mais, Rüben oder Kohl, all das schmeckt auch den Geweihträgern. Zum Herbst hin verschwindet aber die ganze Pracht und nach der Ernte sind die Äcker kahl und braun. Auch die Wiesen, kurz gemäht von der letzten Heuernte, trocknen aus und verfärben sich gelb. Die fahlen Hälmchen enthalten kaum Nährstoffe und so zieht das Wild in den Wald zurück. Dort herrscht nun ein regelrechtes Gedränge und ein Wettlauf um die verbliebenen Nahrungsreserven beginnt. Dabei wird das Naturbuffet in der Reihenfolge der Beliebtheit abgeräumt. Ganz oben rangieren jetzt die Knospen der Laubgehölze. Sie enthalten konzentrierte Energie, denn aus ihnen sollen im nächsten Frühjahr die Blätter entstehen. Pulen Sie einmal eine solche Knospe auseinander: Da ist das Laub schon fein säuberlich gefaltet komplett angelegt.
    Schnapp und weg ist

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