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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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zumute, die Feierstimmung ist verflogen. Der einzige Wolf in Rheinland-Pfalz ist nun Ge schichte. Wie sehr wünsche ich mir, dieses Raubtier einmal in meinem Revier zu sehen! Einige Meldungen der vergangenen Monate hatten schon Hoffnungen in mir geweckt. Denn als ich im März 2012 mit der Wolfexpertin Elli Radinger über meine Sehnsüchte sprach, erzählte sie mir, dass es vielleicht gar nicht mehr so lange dauern würde, bis die grauen Jäger wieder nach Hümmel kämen. Anfang 2012 gab es einen Zufallsfund in den belgischen Ardennen, kaum 60 Kilometer von mir entfernt. Dort hatten Biologen eine Fotofalle an einem gerissenen Schaf aufgestellt, da sie einen Luchs als Verursacher vermuteten. Zu ihrer Überraschung lichtete der Apparat einen Wolf ab.
    Nachdem der Ministerpräsident uns die schlechte Nachricht überbracht hat, google ich rasch mit meinem Handy, wo diese Straftat verübt worden ist. Im Westerwald, also auf der anderen Rheinseite. Es ist zwar nicht »mein« Wolf aus den Ardennen, aber dennoch ein tragischer Verlust. Wie ich später erfahre, meldet sich noch am selben Tag ein 71-jähriger Jäger, dem der öffentliche Druck offensichtlich zu viel geworden ist. Er stellt sich der Polizei und wartet nun den weiteren Verlauf des Strafverfahrens ab.
    Leider ist dies kein Einzelfall. Illegale Abschüsse sind der Haupt grund dafür, dass Europa nicht schon längst wieder flächen deckend mit Raubtieren besiedelt ist. Auch hier ist wieder einmal der Einfluss der Jäger deutlich zu spüren. Dabei ist zum Beispiel der Deutsche Jagdschutzverband eine staatlich anerkannte Naturschutzorganisation. Zusammen mit der Jagdschweiz und der Zentralstelle Österreichischer Landesjagdverbände vertritt er die Interessen von rund 400 000 Jägern. Jäger sind also Natur schützer, zumindest offiziell. Sie kümmern sich um Biotope, legen neue Hecken an, pflanzen Bäume und sorgen sich um das Wohl aller Wildtiere … hauptsächlich jedoch um die, deren Trophäen irgendwann einmal über dem Wohnzimmersofa hängen sollen.
    Wenn ein Tier geschossen wird, ist es tot und dann kann man es nicht mehr schützen. Das nun positiv darzustellen, ist nicht ganz einfach. Sinnvoll sind Abschüsse nur bei Arten, deren Bestand ausufert und mangels natürlicher Feinde nicht in den Griff zu bekommen ist. Wildschweine etwa, die bis in die Innenstädte vordringen und sich von Vorgartenbesitzern nicht mehr aus den Blumenbeeten verscheuchen lassen, gehören zu solchen Problem tieren. Ein großer Teil der Jagd wird aber offiziell zum Schutz der Wälder und Felder vor Wildfraß durchgeführt. Jäger würden an die Stelle des nicht mehr vorhandenen Großraubwilds treten und dieses ersetzen, so die Begründung für das blutige Hobby. Bis heute hat das allerdings nirgends richtig funktioniert, wie die leer gefressenen Laubwälder demonstrieren. Ursache ist neben der massiven Fütterung die Abwesenheit von Raubtieren. Wäre es da nicht besser, den Ersatz abzuschaffen und die Originale wieder jagen zu lassen? Zu diesen Spezialisten aus dem Tierreich gehören Luchs, Wolf und Braunbär. Sie alle würden nur zu gern in ihre alte Heimat zurückkehren und überqueren die Alpen und die Oder, um hier neue (alte) Lebensräume zu erschließen. Meiner Überzeugung nach würde es weniger als zehn Jahre dauern, bis in allen ländlichen Gebieten solche Beutegreifer zu Hause wären. Und doch tun sich die wilden Geschöpfe sehr schwer, unsere dicht besiedelte Landschaft zu erobern.
    Lassen Sie mich zunächst die möglichen Folgen der Rückkehr für jede der drei Arten aufzeigen. Der größte und schwerste unter den tierischen Jägern ist der Braunbär. Er kann bis zu 300 Kilogramm auf die Waage bringen und vertilgt als Allesfresser vom Gras bis zum Hirsch jede greifbare Kalorienquelle. Das macht ihn besonders anfällig für die Verlockungen der Zivilisation. Denn wir Menschen sind aus demselben Holz geschnitzt wie Meister Petz, auch wir sind »Allesfresser«. Was uns schmeckt, mögen auch die Bären. Egal ob Kartoffeln, Mais, Hühner oder Bienenhonig – werden solche Leckerbissen ungeschützt in die Landschaft gebracht, bedienen sich die tierischen Konkurrenten nur allzu gern.
    Ein Kollege, der in Norwegen zum Thema Bären geforscht hat, berichtete mir von den dortigen Akzeptanzproblemen der Bevölkerung. Im ländlichen Raum, der kaum besiedelt ist, werden die Schafe im Frühjahr in den Wald und die Gebirgsregionen getrieben. Dort bleiben sie den ganzen Sommer ohne jegliche

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