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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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ist, dass die Waldbäume wieder ungestört wachsen können – und das machen sie seit inzwischen zehn Jahren zusehends! Es bereitet mir große Freude, wenn ich durch die Buchenkindergärten gehe, die unbeschädigt unter ihren Elternbäumen stehen. Hin und wieder ist sogar eine besonders gefährdete Weißtanne darunter, bestes Zeichen für einen Wildbestand auf vertretbarem Niveau.
    Der Jagdbetrieb ist streng geregelt. Jeder Bürger mit Jagdschein darf kostenlos jagen, was im öffentlichen Wald schließlich sein gutes Recht ist. Wer davon Gebrauch macht, meldet sich bei einem Mitarbeiter an, sagt, welchen Hochsitz er benutzen will und wann er draußen im Revier ist. Zudem gilt ein strenger Verhaltenskodex. So ist es unter anderem verboten, eine Waffe auszupacken, solange Waldbesucher in Sichtweite sind. Denn die sind bei uns schließlich gern gesehen. Der Vorteil der Bürgerjagd ist neben gedeihenden Wäldern auch eine neue Verbundenheit mit dem Wald. Wer jagt, kennt schließlich die Problematik überhöhter Wildbestände und ist am Schutz des Gemeindewalds stärker interessiert.
    Aber nicht jedem gefällt das. Ganz besonders nicht den Reviernachbarn, den Pächtern alten Stils. Und so blies mir mit Eröffnung der Bürgerjagd ein heftiger Gegenwind ins Gesicht. Besonders wütend war ein Nachbarjäger aus Nordrhein-Westfalen. Die Landesgrenze ist bei uns gleichzeitig Reviergrenze, sodass wir diesem unmittelbar in die Suppe spuckten. Das Wild, sein Wild, wanderte nämlich auch in unseren Bezirk und da wurde es gefährlich. Denn was zu viel ist, wird bei uns geschossen. Da konnte es geschehen, dass der sorgsam herangehegte Rehbock, der erst in drei Jahren mit voll ausgebildetem Geweih geschossen werden sollte, zu uns herüberkam und starb. Das durfte nicht sein! Und so setzte der Nachbar sein ganzes Gewicht ein, um mich zu brem sen. Es stellte sich heraus, dass er Landtagsabgeordneter war, und als solcher beschwerte er sich beim Umweltministerium in Rheinland-Pfalz. Damals war ich noch Landesbeamter und das Ministerium mithin meine oberste Dienststelle. Normalerweise wäre das die Katastrophe schlechthin gewesen und darauf setzte der Abgeordnete. Er schilderte meine Praxis als rechtswidrig und hoffte, dass ich von ganz oben gemaßregelt würde. Doch zusammen mit dem Bürgermeister hatte ich die Änderungen gut vorbereitet und war mir sicher, dass wir sowohl rechtlich als auch moralisch korrekt handelten. Eine entsprechende Antwort kam dann auch aus Mainz, sodass wir unseren Kurs unbeirrt fortsetzten. Leider kam es auch zu unschönen Attacken, so etwa zu einem anonymen Drohbrief. Es ist kein schönes Gefühl, abends im Forsthaus zu sitzen, ringsherum der dunkle Wald, und zu wissen, dass einem jemand etwas Böses will. Aber auch diese Zeit ging vorüber und die Jägerschaft hat den Hümmeler Sonderweg mittlerweile wider willig akzeptiert.

Unter Schutz gestellt
    Die tropischen Waldflächen schmelzen wie Schnee in der Sonne und täglich können wir Horrormeldungen über illegale Abholzungen, Brandrodung und die Ausrottung seltener Arten lesen. Doch wie sieht es eigentlich bei uns selber aus? Was macht der Schutz unseres eigenen Naturerbes, unserer heimischen Ökosysteme? Genügt er den hohen Ansprüchen, die wir für fremde Länder formulieren?
    Tatsächlich saß die heimische Forstwirtschaft im 20. Jahrhundert auf einem hohen Roß. Nachhaltigkeit? Haben wir erfunden! Naturschutz? Den liefern wir gratis nebenbei! Bis heute gilt die sogenannte Kielwassertheorie, auch wenn den Begriff kaum noch jemand in den Mund nehmen mag. Sie besagt, dass im Zuge ordnungsgemäßer Forstwirtschaft sämtliche anderen Waldfunktionen automatisch mit abgedeckt werden und damit auch der Schutz der Umwelt. Lange hat die Öffentlichkeit den Forstverwaltungen dieses moderne Märchen abgenommen. Nadelholzmonokulturen, Insektizideinsätze, Großmaschinen – das kann dem Ökosystem nicht guttun, und mittlerweile lässt sich der rücksichtslose Umgang nicht mehr verheimlichen. Den Naturschutz, der sich im Kielwasser dieses Treibens von allein einstellen sollte, gibt es nicht. Und daher fordern Umweltverbände und Bürgerinitiativen in den letzten Jahren lautstark mehr Rücksichtnahme ein. Ziel ist eine stärkere Annäherung unserer Kunstwälder an die Natur. Und genau hier taucht ein riesiges Problem auf. Denn niemand scheint so recht zu wissen, in welche Richtung es gehen soll. Schließlich gibt es in Mitteleuropa bis auf zweifelhafte winzige Reste

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