Der Wald - ein Nachruf
schon mal aus dem Rennen. Doch die übrigen Verantwortlichen werden ebenso umsorgt, zum Beispiel die Gemeinden als Waldbesitzer oder die Vorstände der Jagdgenossenschaften. Zu Bespre chungen laden die Jäger ins Wirtshaus, Speis und Trank gehen auf ihre Rechnung. Wer mag in solch fröhlicher Runde noch Miss stände monieren oder die Stimmung verderben, indem er auf einer anderen Meinung beharrt? Besondere Entscheidungsträger, wie etwa der Bürgermeister, werden mit Extrapräsenten bedacht. Von solchen Fällen habe ich in meiner beruflichen Umgebung regelmäßig erfahren. Und was ist mit Otto Normalverbraucher? Auch er wird nicht vergessen, wie ich vielfach erlebt habe. Da spendet der Pächter für den Kindergarten, das Dorfgemeinschaftshaus oder für die Seniorenfeier oder hilft klammen Sportvereinen und Kirchen. Die Weckmänner am herbstlichen Martinsfeuer, Nikolauspräsente oder Schultüten, Freibier beim Sommerfest: Das Geld ist gut angelegt. Denn gerade auf dem Land gibt es so keinen Widerspruch, wenn Jagdaufseher illegal Futter ausstreuen oder der halbe Wald aufgefressen wird.
Natürlich gibt es auch korrekte Kollegen, die ihren Wald mit viel Herzblut schützen möchten. Doch selbst wenn ein engagierter Förster kriminelle Zustände angehen will, hat er nach solcher Vorarbeit keine Chancen mehr. Denn gegen den geballten Wider stand der Ortsansässigen hat er keinerlei Aussichten, Recht und Gesetz zur Geltung zu verhelfen. Daher gibt es meist nur die Wahl, zu resignieren oder sich auf eine andere Stelle zu bewerben, etwa in den Innendienst.
Zu den Bestechungen, wie man das in aller Deutlichkeit bezeichnen muss, kommt noch ein archaisches Obrigkeitsdenken hinzu. Der Jagdpächter ist der moderne Lokalfürst, ersetzt den früheren Adel und wird oft mit dem gleichen Respekt behandelt. Daher wird er vielerorts tatsächlich auch als Jagdherr tituliert. Wie ungeniert sich diese aufführen, hat mir ein Kollege aus der Eifel erzählt. Dort hatte ein Pächter illegal Muffelschafe ausge setzt, um seinen Wildbestand aufzustocken. Das ist verboten, aber die waldbesitzende Gemeinde protestierte nicht. Obwohl ihr Wald nun in höchste Gefahr geriet, unterstützte sie ihren Pächter noch bei seinem Treiben. Die Schafe seien eine touristische Attraktion, daher sei der Bestand zu legalisieren. Um diesen Standpunkt zu dokumentieren, installierte der Pächter mit Zustimmung der Gemeinde ein Muffeldenkmal mitten im Ort. Dreister kann man nicht signalisieren, dass man auf Gesetze und Verordnungen pfeift.
Weg mit der Jagd?
Vor diesem Hintergrund stellt sich mir die Frage, ob man die Jagd nicht einfach abschaffen sollte. Da die Lobby beste Beziehungen zur Politik hat, bleibt diese Überlegung rein hypothetisch, aber trotzdem lohnt es sich, einmal über die Konsequenzen nachzudenken. Die wenigen Förster, die wirklich ökologisch wirtschaften, würden sicher Sturm laufen. Denn ohne eine Reduzierung der großen Pflanzenfresser wäre an eine ökologische Waldwirtschaft nicht zu denken. Die innige Mischung von Altbäumen und ihrem Nachwuchs auf kleinster Fläche, die behutsame Entnahme einzelner Exemplare, deren Platz sofort von jungen eingenommen wird, das Wirtschaften mit heimischen Baumarten, chemie- und kahlschlagsfrei: Soll man das alles aufs Spiel setzen? Denn infolge nicht regulierter Wildbestände würde gebietsweise jede kleine Buche, Eiche oder Esche kurz nach ihrem Keimen vertilgt. Aber müssen sie nicht nur deshalb so viel schießen, weil die konventionellen Jäger in der Nachbarschaft die Tiere füttern?
Einer Antwort kann man sich über die Anzahl der Abschüsse am Beispiel der Rehe nähern. Normalerweise müsste jeder Treffer dafür sorgen, dass die Wildbestände sinken. Da aber jedes Jahr neue Jungtiere auf die Welt kommen, reduziert sich die Gesamtzahl nur dann, wenn mehr geschossen als geboren wird. Und genau das bezweifle ich.
In meinem Forstrevier werden pro Quadratkilometer Wald 15 bis 20 Rehe erlegt. Das liegt deutlich über dem Durchschnitt der meisten Jagdreviere und dennoch zeigt sich bei der Waldvegetation keine Entlastung. Immer noch wird so viel wie früher abgefressen, woraus sich schließen lässt, dass die Population nicht zurückgeht.
Ein weibliches Reh bekommt pro Jahr ein bis zwei Kitze. Und da vom Gesamtbestand jedes zweite Tier trächtig wird, liegt die Reproduktionsrate bei über 50 Prozent. Wenn pro Jahr 20 Tiere geschossen werden, zusätzlich etliche Rehe von allein verenden und keinerlei
Weitere Kostenlose Bücher