Der Wald - ein Nachruf
keine Urwälder mehr.
Was ist eigentlich schützenswert …
… und was Naturschutz? Das sind interessante und wichtige Fragen, denn in Mitteleuropa werden vielfach nicht nur vom Menschen unberührte Ökosysteme, sondern auch alte Kulturland schaften, die einen hohen Artenreichtum aufweisen, als schützens wert betrachtet. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Arten hier ursprünglich heimisch waren. So sind zum Beispiel Weißstorch, Feldhamster oder Heidelerche Spezies, die hier erst durch menschliche Aktivitäten großräumig Fuß fassen konnten. Doch wenn diese Tiere als schützenswerter Naturbestandteil angesehen werden, wo soll man dann eine Grenze ziehen? Was ist etwa mit den ausgesetzten Waschbären, die ganze Siedlungen mit ihrem Schabernack heimsuchen? Ist demnach alles, was in Wald und Feld unterwegs ist, per se zu fördern?
Wie sehr die Grenzen verschwimmen, zeigt regelmäßig der ehrenamtliche Naturschutz. Da werden ursprüngliche Haustierrassen, etwa Konikpferde oder Heckrinder, in Naturschutzgebieten ausgesetzt, um eine Beweidung mit Tarpanen, ausgestorbenen europäischen Wildpferden, und Auerochsen nachzustellen. Das ist zwar idyllisch, aber nichts anderes als extensive Landwirtschaft. Und wenn nun schon Haustiere in die Schutzbemühungen integriert werden, warum dann nicht alle seltenen Rassen oder gleich alle Haustiere? In letzter Konsequenz muss bei dieser Logik dann auch der Mensch als Natur, sein Umfeld als schutzwürdig gelten. Wo soll man also die Grenze zwischen schützenswert und nicht schützenswert ziehen, sollen alle Anstrengungen in diesem Bereich nicht zur Farce werden?
Diese Fragen sind mir sehr wichtig, da meiner Meinung nach mit dem momentan üblichen Gebrauch des Begriffs Naturschutz der Schutz echter, unberührter Natur verwässert wird. Ich finde es viel sinnvoller, die Vielfalt ursprünglicher Lebensräume zu schützen. Denn die Kulturfolger sind im Gegensatz zu unseren alten Urwaldarten in ihrer eigentlichen Heimat, häufig die warmen Steppen des südosteurasischen Raums, in der Regel nicht gefährdet. Eine echte Naturlandschaft kann meiner Meinung nach nur das Gegenteil einer Kulturlandschaft sein. Bei uns wäre das demnach neben Wasser-, Moor- und Hochgebirgsflächen reiner Urwald. Bei einer anderen Auslegung des Naturbegriffs bekommen wir ein Problem. Was ist beispielsweise mit Brasilien? Auf vielen einstigen Regenwaldflächen breiten sich Graslandschaften aus, die von völlig anderen Arten besiedelt werden. Das kann regional durchaus einen Anstieg der Biodiversität bedeuten und dennoch käme niemand auf den Gedanken, dies auch noch zu fördern. Würden die Brasilianer so etwas als Naturschutz bezeichnen, so ernteten sie in Europa nur Kopfschütteln.
Bei der bisher üblichen Verwendung des Begriffs Naturschutz ist es kein Wunder, dass die Wiege der deutschen Naturschutzgebiete in der Lüneburger Heide liegt. Die idyllische Landschaft mit ihren Wacholderbüschen, den Heidekrautpolstern und dem einsamen Schäfer, der seine Herde bewacht – gibt es ein schöneres Sinnbild für unberührte Natur? Das Gelände wurde 1921 als eines der ersten in Deutschland unter Schutz gestellt. Und es ist ein Maßstab für die Art der Fürsorge geworden, die wir der Umwelt zuteilwerden lassen.
Die Lüneburger Heide war, wie jedes trockene Fleckchen Land in Mitteleuropa, einst ein alter Laubwald. Schon vor Jahrtausenden holzten ihn unsere Vorfahren ab, um Ackerfläche zu gewinnen. Immer wieder konnten Buchen und Eichen Fuß fassen, bis damit vor etwa 1 000 Jahren endgültig Schluss war und der Mensch gesiegt hatte. Lange währte die Freude an der Landwirtschaft allerdings nicht, denn mangels künstlichen Düngers waren die Böden schnell ausgelaugt, sodass sie nicht mehr für den Getreideanbau taugten. Daraufhin breitete sich Heide aus, die nur noch als Schafweide taugte. Und da Stroh Mangelware war, rissen die Bauern die kleinen Sträucher aus und nutzten sie als Einstreu in den Viehställen. Dieser Raubbau an Nährstoffen und Humus zerstörte die Flächen endgültig und die kargen, trostlosen Land schaften waren lange Zeit ein Bild des Elends. Viel schlimmer konnte man in vorindustrieller Zeit keine Umweltzerstörung betreiben. Im 20. Jahrhundert änderte sich jedoch die Wahrnehmung und die Bevölkerung der wachsenden Ballungsgebiete empfand die Heide als romantische Natur. Die Sehnsucht nach der heilen Welt gipfelte in dem Heimatfilm »Grün ist die Heide«, in welchem vor der Kulisse des
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