Der Wald - ein Nachruf
Lüneburger Naturschutzgebiets Förster, Wilderer und Gutsbesitzer aufeinandertreffen.
Und was macht die Natur mit diesem Kleinod? Sie will es einfach wieder zu Wald werden lassen, was der natürliche Werdegang der meisten Ökosysteme Mitteleuropas wäre. Am Anfang siedeln sich Bäume an, die mit ihren Samen schnell große Strecken überbrücken können. Birken, Weiden und Zitterpappeln erobern das Terrain. Sie gehen sehr verschwenderisch mit dem Licht um, sodass unter ihren lockeren Kronen in den nächsten Jahrzehnten Eichen, vor allem aber Buchen nachrücken können – beziehungsweise könnten. Denn die Naturschützer halten die Heide für so erhaltenswert, dass sie sie mit allen Mitteln verteidigen, und zwar überall, nicht nur in Lüneburg. Die harmloseste Waffe ist noch der Schäfer mit seinen Schafen. Die hungrigen Tiere fressen mit Vorliebe an den jungen Bäumchen, ähnlich den Rehen und Hirschen im Wald. Birken und Weiden werden so noch als einjährige Bäume beseitigt. Zum Leidwesen der Verantwortlichen findet sich jedoch kaum noch jemand, der bei Wind und Wetter draußen bei seiner Herde ausharren möchte. Selbst saftige Prämien bringen da kaum Abhilfe. Und weil die wenigen Schafe nicht gegen den Lauf der Natur ankommen, wird zu härteren Maßnahmen gegriffen.
Die letzte Stunde der jungen Bäume schlägt, wenn eine Art Feuerwehr anrückt. Doch die will nicht löschen, sondern macht mit ihren treibstoffgefüllten Spritzgeräten genau das Gegenteil. Gleich einem Flammenwerfer wird die Vegetation damit entzündet und der aufkeimende Wald verwandelt sich in Rauch und Asche. In der Dritten Welt würde man so etwas Brandrodung nennen, bei uns geschieht das im Namen des Naturschutzes.
Manchmal gibt sich die Natur auch dann noch nicht geschlagen und möchte noch immer in eine andere Richtung. Denn problematisch für den Erhalt der Heide sind nicht nur die Bäume, sondern auch die Erholung der Böden. Sobald der Raubbau be endet ist, bildet sich wieder eine Humusschicht, die ein besseres Pflanzenwachstum ermöglicht. Die Erikasträucher ertrinken regelrecht in der Konkurrenzvegetation von Kräutern und Bü schen. Was liegt da näher, als diese Bodenerholung zu stoppen? Dazu wird der gesamte Oberboden mit einer Planierraupe abgeschoben und beseitigt, sodass die nackte Erde übrig bleibt. Jetzt ist die Heide wieder im Vorteil und die natürliche Entwicklung bleibt außen vor.
Ersetzen Sie Heide durch Weinberge, Magerwiesen oder Streuobstbestände. In all diesen Landschaften wird der Wald gewaltsam an der Rückkehr gehindert. Nicht dass ich das alles kategorisch ablehnen würde. Alte Kulturformen sind schützenswert, genauso wie etwa denkmalgeschützte Häuser in Freilichtmuseen. Auch ich finde es romantisch, alte Zeiten wieder aufleben zu lassen. Was mich stört, ist die in meinen Augen irreführende Benutzung des Begriffs Natur bzw. Naturschutz. Wäre die Lüneburger Heide als Kulturschutzgebiet deklariert, so wüsste jeder Besucher, dass hier eine historische Nutzungsform wiederbelebt wird. Allerdings würde dann auch deutlich, wie wenig Fläche wir tatsächlich ohne jegliche Manipulation belassen.
Fragwürdige Bemühungen
Es ist paradox. Über Jahrtausende haben sich unsere Vorfahren bemüht, die Natur so weit zu zähmen, dass von ihr keine Gefahren mehr ausgehen, sondern nur noch Gutes zu erwarten ist – und jetzt ist es endlich so weit. Es gibt kaum noch Raubtiere, vor denen sich Viehhalter ängstigen, die wilden Wälder sind abgeholzt und durch Äcker, Wiesen und Holzplantagen ersetzt worden. So muss das Paradies aussehen, zumindest in den Augen unserer Vorfahren. Doch scheinbar ist mit der Wildheit auch die Seele des heimischen Lebensraums entschwunden und diese vermissen wir nun schmerzlich. Also soll das Rad der Geschichte zurückgedreht werden. Allerdings nicht zu weit, denn wir fühlen uns in der Kultursteppe sehr wohl. Ausdruck dieser Zwiespältigkeit sind die Schutzgebiete, die im Lauf der letzten 100 Jahre ausgewiesen worden sind. Denn ursprüngliche Natur kommt in den offiziellen Reservaten nicht mehr zurück. Und das soll sie auch nicht, weshalb jedes Naturschutzgebiet einen Pflegeplan erhält, der beschreibt, welches Bild entstehen soll.
Bachtäler leiden ganz besonders unter dieser Freizeitarchitek tur. Denn ein romantisch durch bunte Blumenwiesen murmelndes Gewässer wird von Wanderern sehr geschätzt. Gaukeln dann noch farbenfrohe Schmetterlinge über die Blüten, so scheint das Glück
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