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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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Bäume nicht mehr nutzbar sind. Auch für uns Menschen ist das nicht ohne, denn im Trinkwasser finden sich durch diesen Prozess auch vermehrt andere Stoffe, die ausgewaschen werden, zum Beispiel Aluminium.
    Der Nährstoffmangel ist aber noch nicht alles: Viele Feinwurzeln vertragen den aggressiven Niederschlag nicht und sterben ab und die für die Bäume wichtigen Bodenpilze, die Mykorrhiza, verabschieden sich gleich mit. Wenn von unten weniger Nachschub geliefert wird, können die oberirdischen Teile nicht mehr vollständig versorgt werden, und die Bäume versuchen, das Verhältnis von Krone zu Wurzel wieder ins Lot zu bringen, indem sie etliche Äste absterben lassen. Das lässt sie ziemlich zerrupft aussehen. Zudem werden die Blätter auch direkt geschädigt. Kleine gelbe Pünktchen verraten die Säureattacken. Fichten und Kiefern, die ihre Nadeln normalerweise mehrere Jahre lang tragen, werfen diese früher ab, sodass die einst dunklen Kronen auf einmal durchsichtig werden.
    Als wäre dies nicht genug, wirken noch zwei andere Stoffe auf die Wälder. Der eine ist das Ozon, eine sehr aggressive Sauerstoffvariante. Es entsteht überwiegend durch Schadstoffe des Straßenverkehrs und reichert sich in Hitzeperioden in bedrohlichen Konzentrationen in der Luft an. Hier schädigt das Ozon nicht nur die Blätter, sondern auch Ihre Lunge. Daher geben die Wetterdienste bei entsprechenden Wetterlagen Ozonwarnungen heraus – dann sollten Sie draußen keinen Sport treiben, damit Sie die ungesunde Mischung nicht zu tief einatmen. Dieses bodennahe Ozon kann übrigens nicht den Ozonschwund der oberen Atmosphären schichten ausgleichen, welcher als Ozonloch regelmäßig Schlagzeilen macht.
    Der zweite Schadstoff ist Ammoniak, das hauptsächlich aus der industriellen Landwirtschaft, speziell der Massentierhaltung, stammt. Die Landwirte müssen jährlich Millionen Tonnen Gülle, ein Gemisch aus Harn und Kot, entsorgen. Besonders preiswert geht dies auf den Feldern, die dabei auch noch gedüngt werden. Dass das Bodenleben in einem Fäkaliensumpf erstickt, ist ein anderes Thema.
    Beim Ausbringen der Gülle werden gewaltige Ammoniakmengen freigesetzt. Das stinkt nicht nur bestialisch, sondern das Gas wird mit dem Wind auch in die Wälder geweht. Dort versauert es die Böden zusätzlich und wirkt darüber hinaus als Dünger, der die Bäume zum schnelleren Wachstum anregt. Es ist tatsächlich so, dass unsere Wälder in den letzten 20 Jahren deutlich mehr Holz liefern als früher. Doch was positiv klingt, ist in Wahrheit ein kräftezehrender Akt der ohnehin schon angeschlagenen Kandidaten. Die Energie, die ins Wachstum gesteckt wird, fehlt bei der Krankheitsabwehr. Zudem sind die schnell gewachsenen Zel len im Holz sehr groß und enthalten viel Luft, was die Lebensbedingungen von holzzerstörenden Pilzen verbessert, die sich bevorzugt in solchen Bäumen ansiedeln. Schon nach wenigen Jahrzehnten sind viele Stämme ausgefault und hohl wie ein Ofenrohr. Die negativen Auswirkungen der Gülleausbringung dauern bis heute an. Die Luftverschmutzung insgesamt ist jedoch stark zurückgegangen, sodass zumindest der Säuregehalt des Regens wieder in verträglichen Bahnen verläuft.
    Das Verständnis der natürlichen Kreisläufe muss in forstlichen Kreisen sehr beschränkt sein. Anders ist es nicht zu erklären, dass das Waldsterben bis auf den heutigen Tag äußerst merkwürdig bekämpft wird. Wie schon im Chemieunterricht gelehrt wird, neutralisiert Kalk Säuren. Was liegt also näher, als Kalk über die Waldböden zu streuen, um die Auswirkungen der Versauerung rückgängig zu machen? Folgerichtig wird seit 20 Jahren auf Tausenden von Quadratkilometern Kalk ausgebracht. Wegen der Unzugänglichkeit vieler Gebiete geschieht dies mit Hubschraubern, die mit angehängten Behältern über die Bäume fliegen und das vermeintliche Heilmittel zerstäuben. Auch ich habe dies zu Beginn meiner Tätigkeit als Revierleiter machen lassen. Leider. Denn inzwischen weiß ich, dass ich damit den Boden geschädigt habe.
    Bauern kennen den alten Spruch: »Kalk macht reiche Väter und arme Söhne.« Das bedeutet, dass man bei so einer Düngung heute große Erträge erzielt, die aber auf Kosten der künftigen Bodenfruchtbarkeit gehen. Denn der weiße Stoff hat es in sich. Er kurbelt das Bodenleben derart an, dass Bakterien und Pilze den Humus in Windeseile verzehren. Dabei setzen sie jede Menge Nährstoffe frei, sodass die Pflanzen auf solchen Flächen prächtig

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