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Der Wald - ein Nachruf

Der Wald - ein Nachruf

Titel: Der Wald - ein Nachruf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Wohlleben
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gedeihen. Allerdings ist das Ganze nur ein Strohfeuerwerk. Denn kaum ist der Humus zersetzt, verkehrt sich der Effekt ins Gegenteil. Die Nährstoffe sind verbraucht und nun zeigt sich, dass eine andere wichtige Eigenschaft des Humus, nämlich Wasser speichern zu können, fehlt. Die Böden trocknen schneller aus und den Pflanzen geht es schlechter als zuvor. Im Wald passiert das Gleiche, sodass dieses Mittel gegen das Waldsterben das Siechtum langfristig nur weiter beschleunigt. Kurzfristig wachsen die Bäume aber schneller, denn die Kalkung verstärkt den ungesunden Schub, der durch die Gülleausbringung und den damit verbundenen Ammoniakeintrag ausgelöst wird.
    Bezahlt werden die Hubschraubereinsätze teilweise aus staatlichen Klimaschutzmitteln. Für die Kohlenstoffspeicherfunktion der Wälder bekommen die Staaten Gelder aus dem Emissionsrechtehandel der Industrie. Denn Holz und Boden speichern CO 2 , welches durch das Baumwachstum zuvor der Atmosphäre entzogen worden ist. Beginnt dann aber der Humusabbau, werden seine Bestandteile von Mikroorganismen zersetzt, die dabei Kohlendioxid produzieren. Ist der Humus durch die Kalkung schließlich verschwunden, so sind pro Quadratkilometer bis zu 20 000 Tonnen CO 2 in die Luft gelangt – schlechter kann man Klimaschutzgelder nicht einsetzen.
    Damit enden die negativen Auswirkungen leider noch nicht. Denn es gibt auch von Natur aus besonders saure Böden, auf denen sich spezielle Ökosysteme entwickelt haben. Entlässt nun der Hub schrauber seine staubige Fracht auch über diesen, so sterben die Pflanzen und Tiere dort und das gesamte Ökosystem wird zerstört.
    Verwaltungen gleichen Supertankern, die einen enorm langen Bremsweg aufweisen. Im Dickicht der Behörden haben es neue wissenschaftliche Erkenntnisse sehr schwer, an die Basis vorzudringen, die für die Ausführung verantwortlich ist. Und so wird bis zum heutigen Tag munter weiter gekalkt.
    Aber ich sprach in diesem Zusammenhang von einem Verdacht. Ich glaube, wir sitzen alle einer gewaltigen PR-Kampagne auf. Meine Vermutung stützt sich auf Beobachtungen, die ich landauf, landab machen konnte und die alle in dieselbe Richtung weisen. Zu Beginn des Waldsterbens war sicher die Säurebelastung der Hauptfaktor für das Siechtum der Bäume. Doch heute, angesichts einer erheblich verbesserten Luftqualität, wird ein weiterer Grund deutlich, an dem ältere Buchen, Eichen oder Fichten kranken – die Forstwirtschaft.
    Die Waldbäume sind vielfältigen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Zerstörte Böden, durch Anzucht und Pflanzung deformierte Wurzeln, genetische Ausdünnung und der Chemieeinsatz schwächen das Ökosystem deutlich. Der Hauptgrund für dürre Zweige und schlappe Blätter ist meiner Meinung nach aber die Auflösung der Sozialgemeinschaft. Denn wird mit der Motorsäge über die Jahre ein Baum nach dem anderen entfernt, so werden Kameraden getrennt, Kindern ihre Eltern weggenommen und das Kleinklima auf den Kopf gestellt. Der Wind pfeift zwischen den verbliebenen Bäumen hindurch und trocknet die Böden aus. Warme Sonnenstrahlen heizen die Luft auf und verdorren das Laub. Das vertragen ältere Bäume nicht mehr, denn sie sind nicht mehr so flexibel wie die jungen. Kleine Äste sterben ab, Blätter bleiben winzig und werden kränklich gelb, und bei den Fichten rieseln mehr Nadeln herunter, als wieder nachwachsen können. Wie gerupfte Hühner stehen einst majestätische Exemplare in der Landschaft. Dass das nicht normal ist, kann ich jeden Tag in unseren alten Buchenwäldern beobachten. Sie gelten in Forstkrei-sen als überaltert, weil sie mit rund 200 Jahren bereits 40 Jahre über dem regulären Nutzungsalter liegen. Diese Bestände werden seit Langem nicht mehr angetastet und wachsen wie durch ein Wunder auf nahezu unbeeinflussten, völlig intakten Böden. Und siehe da, trotz ihres hohen Alters sind sie gesund. Keine toten Äste, kein kümmerliches Laub, nein, hier stehen kraftstrotzende Prachtstücke dicht an dicht. Es ist nicht nur eine Parzelle, auf der dieses Phänomen zu beobachten ist, sondern es sind viele verschiedene, die über das ganze Revier verteilt sind. Was sie alle eint, ist, dass hier keinerlei Forstwirtschaft mehr stattfindet.
    Es ist nicht so, dass ich noch nie alte Buchen habe fällen lassen. In einigen Waldabteilungen habe ich als junger Förster Hand an die mächtigen Stämme gelegt und sie als teuer bezahltes Holz nach China verkauft. Das ist Vergangenheit und dennoch kann man die

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