Der Wald - ein Nachruf
zu sehen, dass das Konzept hier offensichtlich genauso gut funktionierte wie im Grand Canyon. Und nebenbei lernte ich die gesamte Jugend aller Dörfer meines Reviers kennen.
Ich hasse es, wenn ich etwas auswendig lernen muss. Viel wichtiger ist mir, die Dinge mit dem Herzen zu begreifen. Warum sollte es den Kindern anders gehen? Also standen bei der Juniorförsterausbildung keine klassischen Waldführungsinhalte im Fokus. Artenkenntnisse? Halb so wichtig! Wie welche Blume heißt, wie jenes Gras genannt wird – was spielt das für eine Rolle für das Verständnis unserer Umwelt? Ich erzählte der munteren Schar viel lieber von der Sprache der Bäume, von den Eltern und Kindern unter ihnen und ihrem Sozialleben. Viel wichtiger als botanische Bezeichnungen war uns, dass die Schüler die Zusammenhänge begriffen und ein Gespür dafür bekamen, wenn etwas nicht in Ordnung war. Von uns ausgebildete Juniorförster waren nach den vier Schuljahren in der Lage, einen natürlichen Wald von einer Plantage zu unterscheiden oder anhand der Optik jun ger Bäume zu erkennen, ob das Wild sie abgefressen hatte. Vor allem aber gaben wir ihnen das Gefühl von Waldbesitzern. Meinten im ersten Schuljahr noch alle, der Wald gehöre dem Förster, also mir, so verstanden die Viertklässler genau, dass sie selbst und ihre Familien Hausherren waren. Und falls ihnen nicht gefallen sollte, was ihr Waldhüter dort draußen so trieb, so wussten sie, bei wem sie sich beschweren konnten.
Ein wenig Artenkenntnis ist natürlich nicht schlecht, aber warum soll das immer nur über die Augen laufen? Unsere Schüler probierten die Bäume und bissen herzhaft in Fichtentriebe und Buchenblätter. Bei den Waldjugendspielen, einer Art Tageswettkampf für Schulen in ganz Rheinland-Pfalz 49 , fiel eine Gruppe des dritten Schuljahres auch prompt dadurch auf, dass sie auf eine Frage nach der Baumart anfing, an den gezeigten Zweigen herumzuknabbern. »Das ist bestimmt eine Klasse von Herrn Wohlleben«, rief der die Kinder begleitende Forstamtsleiter aus.
Die Zukunft des Waldes
Seit dem Siegeszug von Kohle, Öl und Gas konnten sich die europäischen Wälder flächenmäßig erholen. Konnten, denn in den letzten zehn Jahren sind neue Gewitterwolken am Horizont aufgezogen. Luftverschmutzung, der Klimawandel und eine sich abzeichnende Übernutzung sind akute Gefährdungen für diese Ökosysteme.
Waldsterben
Als ich 1983 in die Forstverwaltung eintrat, sah es für den Wald düster aus: Saurer Regen, verursacht durch Industrie- und Verkehrsabgase, schädigte die Bäume massiv. Erst war es nur die Tanne, für die Alarm geschlagen wurde, dann traf es auch alle anderen Arten. Kahle Zweige, absterbende Wurzeln und auf den Höhenzügen erste tote Baumgruppen – es ging bergab. Experten rechneten damit, dass im Jahr 2000 ein Großteil der einst grünen Mittelgebirge kahl und öde daliegen würde. Dokumentationen der TV-Sender zeigten düstere Zukunftsvisionen von fahlen Landschaften, von erodierten Böden und einer lebensfeindlichen Umwelt. Fast schien es so, als sei das Ende der Zivilisation nahe. Für mich als angehenden Förster waren das keine guten Aussichten und ich überlegte, ob denn der Wald nach Abschluss meines Studiums überhaupt noch existieren würde.
Der Schock, den diese Meldungen in der Öffentlichkeit erzeugten, sorgte für einen tief greifenden Wandel: Industrielle Abgase mussten entschwefelt werden und für Fahrzeuge wurden Katalysatoren Pflicht. Auch die Heizungen der Haushalte mussten schrittweise auf den neuesten Stand gebracht werden und heute hat der Säuregehalt der Niederschläge fast schon wieder vorindustrielle Werte erreicht. Ein echter Erfolg für die Umwelt! Dennoch geht das Waldsterben weiter, doch mittlerweile ist das Interesse der Öffentlichkeit zurückgegangen. Und ich persönlich habe den Verdacht, dass das heutige Siechtum der Bäume ganz andere Ursachen hat. Doch lassen Sie uns zunächst einen Blick auf die Abläufe der Krankheit und vor allem auf ihre Diagnose werfen.
Waldsterben ist der Begriff für ein Geschehen, das diverse komplexe Ursachen hat. Die Säuren, die in Abgasen enthalten sind, werden von Regengüssen aus der Luft ausgewaschen und landen im Boden. Dort reichern sie sich an und entfalten ihre Wirkung. Sie verschieben den pH-Wert so, dass sich die Nährstoffverfügbarkeit drastisch verändert. Manche Nährstoffe werden mit den Regengüssen in tiefere Schichten gespült, andere fester eingebaut, sodass sie für die
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