Der Wald - ein Nachruf
Herz.
Juniorförster
Im Sommer 1997 bereisten meine Familie und ich den Südwesten der USA. Meine Schwester Anne-Kirsten, Beamtin beim Auswärtigen Amt, war zu dieser Zeit am Generalkonsulat Los Angeles tätig, und so verknüpften wir den Besuch bei ihr mit einem Urlaub. Ich hatte als Kind die Bücher von Karl May verschlungen, habe mit Winnetou und Old Shatterhand gelitten und den Untergang der Indianer betrauert. Etwas muss davon hängen geblieben sein, denn ich wollte unbedingt die Reservate im Wilden Westen besuchen. Wir mieteten ein riesiges Wohnmobil, und nach einer Übernachtung bei meiner Schwester machten wir uns zusammen mit ihr auf in die unendlichen Weiten von Nevada, Colorado, Arizona und New Mexico. Die Landschaften waren atemberaubend und vor allem menschenleer. Kaum einmal begegnete uns ein Auto und die Wirklichkeit übertraf all die schönen Bildbände und Dokumentarfilme, die ich vorher verschlungen hatte. Eines fiel mir jedoch negativ auf: Im Gegensatz zu Europa war hier selbst der entlegenste Winkel mit Maschen- und Stacheldraht eingezäunt sowie mit Warnhinweisen zugepappt: »Privateigentum! Betreten verboten!« So frei war also dieses Land meiner Sehnsüchte.
Die Indianerreservate enttäuschten mich nicht, im Gegenteil. Ich war überrascht, wie viel von diesen Kulturen bis heute überlebt hatte. Auch unsere Kinder hatten ihren Spaß. Meine Schwester hatte uns Monate zuvor eine CD mit Indianergesängen geschenkt, um unser Reisefieber noch ein wenig anzuheizen. Die Lieder spielten wir wieder und wieder ab, und irgendwann konnten wir sie alle mitsingen. Auf einer Jeeptour durch ein Navajo-Reservat fingen Tobias und Carina, damals drei und fünf Jahre alt, plötzlich mit diesen Gesängen an. Die indianischen Guides stießen sich mit den Ellenbogen in die Rippen und freuten sich sichtlich, erkannten sie doch den Gesang als Navajo-Lied.
Tage später bereisten wir den Grand Canyon. Und hier hatte ich mein Schlüsselerlebnis in Sachen Umweltbildung, denn die Parkverwaltung veranstaltete für Kinder ein Juniorrangerprogramm. Zwei Tage lang galt es, Müll einzusammeln, Tiere und deren Spuren zu entdecken sowie einen Parkranger in ein Gespräch zu verwickeln. Es war rührend zu sehen, mit welchem Feuereifer unsere Kinder die Aufgaben erledigten. Selbst die Unterhaltung mit dem Ranger, die natürlich auf Englisch geführt werden musste, brachten sie trotz der Sprachbarriere und ihrer Aufregung hinter sich. Zur Belohnung gab es im Besucherzentrum eine Urkunde, einen Anstecker sowie einen Ärmelaufnäher, und beide wurden zum Raven-Ranger ernannt.
Bei mir machte es klick. So sollte man Kindern die Natur näherbringen! Wieder zurück in Hümmel rief ich bei der KOMMA an, einer Stabsstelle, die die PR der staatlichen Forstverwaltung in Rheinland-Pfalz koordiniert. Ich schilderte meine Eindrücke und regte an, ein solches Programm für Deutschland aufzulegen. Doch der Sachbearbeiter winkte ab. Man sei bereits dabei, Aktionen für Kinder vorzubereiten, und sehe keinen weiteren Bedarf. Schade.
Das war aber kein Grund für mich, diese Idee zu verwerfen. Carina stand kurz vor der Einschulung in der winzigen Grundschule des Nachbarorts Wershofen. Dort gab es nur vier Lehrer, von denen zwei der Direktor und seine Frau waren. Ich schilderte dem Schulleiter meine Idee und der engagierte Pädagoge war sofort Feuer und Flamme. Daher arbeiteten wir zusammen mit dem Kollegium einen Plan für Unterrichtsstunden im Wald aus. Im Gegensatz zum nordamerikanischen Pendant wollten wir mit jeder Klasse zweimal im Jahr in die Natur hinausgehen und dort die Themen behandeln, die laut Lehrplan ansonsten im Klassenzimmer besprochen worden wären. Am Ende des vierten Schuljahres sollte dann eine Prüfung den Zyklus abschließen. Logisch, dass dabei eine Urkunde und ein Ärmelaufnäher nicht fehlen sollen. Wenige Wochen nach der Kontaktaufnahme war das Juniorförsterprogramm geboren.
Meine Tochter Carina gehörte mit ihrer Klasse zu den ersten Schülern, die in den Genuss dieses Programms kamen. Und ein Genuss war es für uns alle. Da wurde experimentiert und auf der Suche nach Käfern und Spinnen durch das nasse Laub gerobbt. Da wurden Spiele wie »Fledermaus und Motte« oder »Eichhörnchen im Winter« gespielt, um das Leben der Wildtiere nachzuempfinden. Und jedes Mal, daran ging kein Weg vorbei, gab es auf einer Lichtung ein großes Lagerfeuer, auf dem die mitgebrachten Würstchen gegrillt wurden. Es war für mich eine Freude
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